Jahr für Jahr hat er sich im BVB-Trikot gesteigert. Zufrieden ist Jude Bellingham längst noch nicht. Im ersten Teil eines ausführlichen Interviews mit Patrick Owomoyela spricht unser Mittelfeldspieler über die Kapitänsbinde, Krafttraining und seine Art zu spielen.

Jude, das Magazin kicker hat Dich gerade zum besten Mittelfeldspieler der Bundesliga gekürt. Und sie behaupten sogar, dass Du ein „brodelnder Vulkan“ bist, aber kontrolliert. Wie reagierst Du darauf? 
„Es ist wirklich schön, für das, was man auf dem Platz tut, geschätzt zu werden und dass die Leute diese Meinung haben. Wir leben in einer Zeit, in der es populär ist, Dinge zu diskreditieren, obwohl man es vielleicht gar nicht so meint. Es ist also schön, wenn die Leute dich loben, wenn du gute Leistungen bringst. Aber letztendlich versuche ich nur, dem Team zu helfen. Wie ich immer in jedem Interview sage, das ich mit Dir mache. Und das soll kein Klischee sein. Das ist mein Hauptaugenmerk. Ich kenne die Qualitäten, die ich in das Team einbringen kann. Ich bin einfach froh, dass das anerkannt wird.“

Es wird anerkannt. Wie fühlst Du Dich im Moment? Hast Du schon Lust, Fußball zu spielen und wieder anzugreifen? 
„Ich brenne darauf, in der Bundesliga zu spielen. Ich weiß, dass wir hier in Marbella zwei Spiele haben, und ich möchte nicht zu weit vorausschauen, aber es ist wirklich schwer, wenn alle anderen Ligen spielen und du im Fernsehen zusiehst und nur denkst: Ich kann es kaum erwarten. Nach der Weltmeisterschaft dachte ich, dass ich mental und körperlich ausgelaugt war. Und ich sagte mir, ich will mich ausruhen, schön lange ausruhen. Ungefähr zwei Wochen später dachte ich nur: Nein, nein, ich muss wieder loslegen und an die Arbeit.“

Wie lange warst Du im Urlaub? 
„Es waren drei Wochen oder etwas mehr als drei Wochen. Ich war wirklich dankbar, dass der Verein mir so lange gegeben hat, um die Batterie aufzuladen.“

Du bist also erholt?
„Ich verarbeite immer noch einige Sachen der Weltmeisterschaft. Aber ich denke, insgesamt fühle ich mich bereit.“

„Ich kann es kaum erwarten“

Wenn ich mich nicht irre, hast Du Silvester in Birmingham gefeiert. Erzähl mal. 
„Ich war während meiner gesamten Pause in Birmingham. Ich war dort von dem Tag an, an dem wir ausgeschieden sind, bis zu dem Tag, an dem wir für die Tests wieder zurück in Dortmund sein mussten. Ich habe es geliebt. Ich bin nicht nach Dubai oder so in den Urlaub gefahren. Wenn du so oft von zu Hause weg bist, ist es schön, einfach wieder zu Hause bei der Familie zu sein, bei Freunden. Und ich kenne viele Leute in der Stadt. Es gibt wirklich immer etwas zu tun. Ich habe da Silvester gefeiert und hatte eine gute Zeit. Mal ganz entspannt. Das fühlte sich wirklich gut an.“

Jetzt bist Du zum ersten Mal mit der Mannschaft in Marbella und in diesem Trainingslager dabei. Wie gefällt es Dir? Wie würdest Du es bisher zusammenfassen?  
„Die Anlagen, auf denen trainiert wird, sind großartig. Das Hotel ist unglaublich. Du hast sofort das Gefühl, dass man willkommen ist, dass sie dich wirklich hier haben wollen. Und es ist den Menschen ein Vergnügen, unsere Gastgeber zu sein. Für uns ist es auch eine Freude, hier zu sein. Da ist so etwas wie gegenseitiger Respekt von beiden Seiten. Und es ist wirklich schön, hier zu sein. Ein Tapetenwechsel für die nächsten Tage. Und letztendlich haben wir hier einfach den besten Ort, um hart zu arbeiten und uns auf die Rückrunde vorzubereiten.“ 

Und das Wetter ist wahrscheinlich etwas besser als in Birmingham. 
„Ja, ein bisschen. Ganz wenig.“ 

Hattest Du schon Zeit für einen kleinen Strandpromenadenspaziergang? 
„Ich war am Pool. Wenn es sonnig ist, muss man das Beste daraus machen. Ich war unten im Café. Vielleicht mache ich noch einen Spaziergang am Strand. Aber ja, ich habe ein wenig die Anlage erkundet und hatte eine schöne Zeit abseits des Platzes.“ 

Wenn Ihr so hart arbeitet, müsst Ihr wahrscheinlich nach zwei Trainingseinheiten am Tag müde sein. Und vielleicht ist Ruhe dann wichtiger als ein Spaziergang. 
„Ja, definitiv. Es ist eine Menge Arbeit und es ist hart für den Körper. Du hast zweimal Training mit einer wirklich hohen Intensität. Es ist normal, dass du dich dann müde fühlst. Aber ich denke, in diesem Hotel, in dem es genug Möglichkeiten gibt, sich zu entspannen, fühlst du dich gut und bereit für den nächsten Tag. Es ist das Wichtigste, dass sich beides ergänzt.“

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Jetzt wollen wir zurückblicken auf den 10. Dezember, England hat das Viertelfinale gegen Frankreich verloren. Wie lange hast Du gebraucht, um Dich damit abzufinden, dass ihr ausgeschieden seid? 
„Ich denke, man findet sich ziemlich schnell damit ab, um ehrlich zu sein. Aber noch heute denke ich manchmal an das Spiel. Es gab so einen Moment im Training, wo ich aufs Tor geschossen habe, und dachte, das war genau wie der, den ich im Spiel gegen Frankreich hatte. Und ich denke: Wenn ich ihn weiter nach links gelenkt hätte, wären wir dann ins Halbfinale gekommen? Ich war am ersten Elfmeter beteiligt, als ich den Ball zu Bukayo weitergeleitet habe. Und am zweiten, als ich versucht habe Mason anzuspielen. Und ich denke immer, was wäre, wenn ich den Ball Mason perfekt aufgelegt hätte? Vielleicht wäre er frei durch gewesen und hätte getroffen. Und dann hätte es keinen zweiten Elfmeter gegeben. Man grübelt viel zu viel, aber man kommt schnell damit klar, weil man es nicht ändern kann, ob es dir gefällt oder nicht. Dann sitzt du im Flugzeug nach Hause und denkst: Wir haben alles gegeben. Wir haben ein Turnier gespielt, auf das das Land stolz sein kann. Wir haben einen wirklich starken Kampf gegen eines der besten Teams der Welt geliefert. Es war knapp und man lernt, es als Antrieb für das nächste Mal zu nutzen. Und ich glaube, so habe ich es aufgenommen.“

Du hast beim Turnier einen sehr starken Eindruck hinterlassen. Wie blickst Du auf Deine persönliche WM zurück? 
„Ich denke, sie war wirklich gut. Ich war wirklich stolz darauf. Aber man kann nicht zufrieden sein, weil wir mit der Absicht hingeflogen sind, das Turnier zu gewinnen. Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass wir die Chance dazu hatten. Besonders nachdem wir gegen den Senegal weitergekommen sind und man merkt, dass nur noch drei Spiele übrig sind. Hätten wir Frankreich geschlagen und wären durchgekommen, wer weiß, was passiert wäre. Aber jetzt ist alles Konjunktiv. Ich genoss den Druck der Spiele und die Verantwortung, die mir der Trainer überließ. Mein bestes Spiel war wahrscheinlich gegen den Senegal, als ich die meisten Freiheiten hatte und das Okay bekam, mich überall auf dem Platz zu bewegen. Ich denke, das war der Zeitpunkt, an dem man meine beste Leistung des Turniers gesehen hat. Es war einfach schön, so frei aufzuspielen. Unabhängig von dem ganzen Druck hatte ich so viele gute Mitspieler um mich herum, die mich immer wieder ermutigt haben, das zu tun, was ich tat.“

Wie gehst Du mit dem Druck um, so jung und so talentiert zu sein? 
„Ich denke, der Druck, den man sich selbst macht, entsteht durch mangelnde Vorbereitung und mangelndes Selbstvertrauen. Zum Glück mangelt es mir nicht an Selbstvertrauen und ich versuche immer, jederzeit vorbereitet zu sein. Ich bin also immer ziemlich zuversichtlich, dass ich die Dinge erreichen kann, die ich erreichen möchte.“

Du bist 2020 zu Borussia Dortmund gekommen. Zweieinhalb Jahre später hast Du bereits die Kapitänsbinde getragen. Wie hättest Du reagiert, wenn ich Dir damals gesagt hätte, warte mal zweieinhalb Jahre ab und dann wirst Du diese Mannschaft auf den Platz führen? 
„Ich hätte gesagt, keine Chance. In zweieinhalb Jahren ist es zu früh. Gib mir vielleicht acht Jahre oder so. Aber meine Teamkollegen, die Trainer und die Betreuer haben mir geholfen mich zu entwickeln. Ich kam als talentierter Junge zum Verein, aber ich habe meinem Spiel Elemente hinzugefügt, es auf die nächste Stufe gehoben. Und ich denke, das liegt hauptsächlich an ihnen. Ich habe die Arbeit hineingesteckt, aber sie haben die Bedingungen geschaffen, um es zu verwirklichen. Sie haben meinem Spiel auch eine Art von Führungsqualitäten hinzugefügt, besonders in der Saison unter Marco Rose. Ich lerne einfach jedes Jahr dazu und versuche, alle Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe, und die Erfahrungen anderer Leute, mit denen ich spreche, zu nutzen, um mein Spiel zu verbessern. Ich bin dann wie ein Schwamm und sauge so viel wie möglich auf.“

Du scheinst Dich von Jahr zu Jahr zu verbessern. Welche Aspekte Deines Spiels haben sich Deiner Meinung nach seit damals am meisten verbessert?
„Ich bin jetzt etwas entscheidungsfreudiger, wenn ich ins letzte Drittel komme. Ich denke immer, wenn ich auf dem Platz stehe, dass ich das Spiel beeinflussen kann, egal ob mit einem Tor oder einer Vorlage. Bei meiner Art zu spielen ist es mein Ziel, auch ohne das effektiv zu sein. Aber wenn du das noch addierst, ist es für das Team viel wertvoller und wirkt sich auf das Ergebnis aus. Das ist eine Sache, die sich stark verbessert hat. Das sieht man an den Statistiken. Ich mache mir nicht viel daraus, dass ein Spieler basierend auf den Zahlen bewertet wird. Aber es ist ein Beweis dafür, dass ich immer häufiger im Strafraum und effektiver geworden bin. Und ich würde sagen, es hat sich ein bisschen von allem verbessert. Allerdings habe ich noch einen langen Weg vor mir, mit allen möglichen Kleinigkeiten. Defensiv denke ich immer noch, dass ich mich manchmal besser positionieren kann. Ich kann noch mehr Bälle erobern. Und obwohl ich jetzt angefangen habe, häufiger zu treffen, denke ich immer noch, dass ich das noch besser kann. Um ehrlich zu sein, gab es ein paar Spiele, in denen ich Torchancen liegen ließ. Keine hundertprozentigen. Ich hatte ein paar richtig gute Chancen, die ich versemmelt habe, und ich habe mich danach ein paar Wochen lang wirklich geärgert. Außerdem hatte ich halbe Chancen, an die ich noch denke, zum Beispiel ein Kopfball im Derby. Ich habe die Szene neulich auf Twitter gesehen und musste das Video immer wieder zurückspulen, nur um zu sehen, warum ich kein Tor erzielt habe. Es war auch eine tolle Parade. Aber weißt du, ich habe die Mentalität, dass ich eigentlich in allem besser werden kann.“ 

„Ich bin dann wie ein Schwamm und sauge so viel wie möglich auf“

Du hast Dich auch körperlich verändert. Deine Schultern sind etwas breiter geworden. Hast Du auch speziell daran gearbeitet? 
„Das habe ich besonders in den letzten beiden Saisons gemacht. Ich bin zu den Athletiktrainern gegangen und habe gesagt, dass ich meine Ziele habe, wie ich mich entwickeln will. Ich denke, Teil der Nationalmannschaft zu sein, hat mir sehr geholfen, weil man die Spieler dort gesehen hat. Ich würde sagen, die Premier League ist physischer. Und das hat man bei den Spielern gesehen, die bei der Nationalmannschaft sind. Ich sehe also, wie die gebaut sind, und ich denke, wenn ich mich auf ein Niveau bringen kann, auf dem ich sowohl körperlich als auch technisch dominant bin, kann ich Spiele viel mehr beeinflussen. Unsere Athletiktrainer haben mir sehr geholfen und mir die Werkzeuge gegeben, um muskulöser zu werden, stärker zu werden und mein Spiel zu verbessern.“

Du haust Dich auf dem Platz auch richtig rein. Du gehst raus und kämpfst 90 Minuten lang. Selbst wenn Du schon im roten Bereich bist, versuchst Du immer noch, Pässe abzufangen und wir sehen Dich manchmal auf dem Boden liegen, ausgestreckt wie ein Seestern und erschöpft. Wie viel von diesem Kampf ist purer Wille und wie viel davon kommt durch Ausdauertraining? 
„Ehrlich gesagt passiert viel davon im Kopf. Du gibst nicht auf, egal was passiert, besonders in den Spielen, die eng sind oder bei denen wir 1:0 führen oder zurückliegen. Aufgeben ist für mich keine Option. Es kommt mir nicht in den Sinn, dass ich genug getan hätte oder dass es schon reichen wird, wenn ich jetzt mal nicht auf diesen Ball gehe. Wenn ich auf dem Platz bin, muss ich alles dafür tun, dass ich gewinne. Das ist Kopfsache. Aber natürlich muss man sich körperlich vorbereiten. Eine andere Sache, die ich von den erfahrenen Spielern gelernt habe, ist, wie sie ihre Körper vorbereiten. Ich kam aus Birmingham und die erfahrenen Jungs machten es dort auch, aber ich dachte nur, ich bin 16 und mir geht es gut, also wird es mir immer gut gehen. Aber das stimmt nicht. Du kriegst Sachen bei den älteren Profis mit. Zum Beispiel mache ich jetzt immer Eisbäder und achte auf die Regeneration. Wenn man die kleinen Dinge heute nicht macht, kann sich das am Wochenende auswirken.“

Du hasst es zu verlieren, aber in dieser Saison gab es einige Niederlagen. Wie blickst Du auf die erste Saisonhälfte zurück?
„In der Champions League waren wir wirklich stark. Wir hatten einen wirklich guten Plan für diese Spiele und waren sehr effektiv. Das Auswärtsspiel gegen Sevilla ist wahrscheinlich das Lieblingsspiel meiner Karriere. Im Spiel gegen City, obwohl wir da verloren haben, haben wir wirklich deutlich gezeigt, wie gut wir spielen können. In der Bundesliga war es ein bisschen frustrierend, weil ich denke, dass das Hauptthema die fehlende Konsistenz war. Wir haben gezeigt, dass wir jeden schlagen können, aber gleichzeitig auch gegen jeden verlieren können, was wirklich frustrierend ist. Denn bei der Qualität, die wir haben, sollte das nicht der Fall sein. Wir sollten in der Lage sein, mit dem Wissen aufzutreten, dass wir selbstbewusster sein können. Dass wir ein Spiel gewinnen werden. Und das war in der Hinrunde nicht der Fall. Diese Konstanz und diese Balance müssen wir finden. Aber es ist schwierig, weil wir auch viele Verletzte hatten. Das Team hat sich oft verändert. Spieler waren da, waren dann verletzt. So bekommst du kein Gefühl für die Mannschaft und kannst keine Verbindungen auf dem Platz aufbauen, was wirklich wichtig ist. Es gibt immer Dinge, über die man sagen kann, dass man sie verbessern kann. Da kannst du stundenlang weitermachen, nachdem ein Spiel beendet ist. Ich denke, man sollte in der Lage sein, sich das schon während des Spiels bewusst zu machen, um bereits dort zu versuchen, die Dinge zu ändern.“ 

Ärgert Dich das oder treibt Dich das sogar zusätzlich an, diese Saison so schnell wie möglich zu korrigieren und die Dinge besser zu machen?
„Es stört mich definitiv. Während ich bei der Weltmeisterschaft war, habe ich mich wirklich auf England konzentriert. Dann war die WM vorbei, und man muss damit leben, dass Borussia Dortmund beim Blick auf die Tabelle Sechster ist. Angesichts des Potenzials sollten wir auf keinen Fall auf dem Tabellenplatz stehen. Das soll nicht respektlos gegenüber den Teams klingen, die im Moment vor uns stehen, aber ich denke, in Bezug auf die Qualität, die Tiefe des Kaders und die einzelnen Positionen sollten wir viel besser dastehen als wir es tun. Ich habe keine Angst, das den Jungs und den Betreuern zu sagen. Denn das sollte unsere Ambition sein. Aber es geht darum, es zu tun, statt zu reden. Und ich bin wirklich, wirklich motiviert. Mit der Mannschaft, die wir haben, und wenn wir alle unser Level noch ein bisschen steigern, können wir in der zweiten Saisonhälfte wirklich etwas Besonderes erreichen.“ 

Im zweiten Teil des Interviews, das am Freitag erscheint, spricht Jude Bellingham über das Pokalfinale 2021, das Achtelfinale in der Champions League gegen den FC Chelsea und die zweite Saisonhälfte mit dem BVB.

BVB-TV by 1&1: Das Interview mit Jude Bellingham im Video