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Freitag 24.05.2024, 1. Fussball - Bundesliga Saison 23/24 -  in Dortmund, .BV Borussia Dortmund - Kjell Waetjen (BVB) Interview fuer BORUSSIA ...Copyright:.Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA.Rheinlanddamm 207-209.44137 Dortmund..(NO IPTC-stripping allowed).EDITORIAL USE ONLY

Story

Kjell Wätjen: Höhenflug mit Bodenhaftung

Es dreht sich derzeit viel um ihn. Und um ihn herum noch viel mehr. Manche drehen sogar durch. Beim Googeln etwa reichen die ersten beiden Buchstaben, damit die Suchmaschine seinen kompletten Namen als Toptreffer ausspuckt. Doch Kjell Wätjen, 18 Jahre jung, macht da nicht mit. Natürlich sei Fußball wichtig. Wichtiger aber sei die Familie. Und die Gesundheit. Eine gesunde Einstellung in einer Blase, die auch krankmachen kann. Über ein bemerkenswertes Gespräch mit einem Toptalent, das vor allem ein Toptyp ist. 

Wätjen kommt später zum Termin als vereinbart. Doch das aus gutem Grund: Das Training hat länger gedauert, das Training vor zwei besonderen Spielen. Der 18-Jährige hat zunächst das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft der U19 gegen Hoffenheim gespielt – und stand nur 48 Stunden später im Spieltagskader der Profis für das Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Ein Novum. 

Hinter ihm liegt ein Jahr der ersten Male: erster EM-Titel (mit der U17), erster Profi-Einsatz (in der Vorbereitung), das erste Spiel in der UEFA Youth League, das erste Mal mit Kapitänsbinde in der U19 – und seit Beginn des Kalenderjahres dann: erstes Profi-Trainingslager, das erste Mal Champions-League-Kader, das erste Mal Bundesliga-Kader, erster Profivertrag und schließlich das Debüt in der Fußball-Bundesliga. Verdichtet nach Orten klingt das so: Budapest, Marbella, Berlin, Paris, London... Zu- gleich, mitunter zeitgleich: Schule und Abitur. 

Kein Wunder also, dass Kjell Wätjen bei der Frage nach dem Wochentag um zwei daneben liegt (Mittwoch statt Freitag) und beim Datum gar um vier. „Ist ein bisschen viel los im Moment, beim Fußball und in der Schule“, sagt der 18-Jährige, um sogleich einen Satz hinterherzuschieben, der belegt, wie herrlich unaufgeregt und pragmatisch er die Dinge sieht und angeht: „Natürlich ist es stressig, aber wenn es vorbei ist, werde ich die Zeit vermissen, in der viel los war.“ 

Kjell, bleibt bei all den Erlebnissen, bei all den Eindrücken auch Zeit zum Genießen? Kannst Du Dir vergegenwärtigen, was gerade alles passiert? 
„Ja, auf jeden Fall. Wenn ich abends im Bett liege oder im Flieger nach Hause sitze, dann denke ich: Was geht hier eigentlich gerade ab? Das ist schon heftig. Es war wie ein großer Schnipser, dann kam alles und jetzt geht es Schlag auf Schlag.“ 

Immerhin, Du kannst offenbar einschlafen. 
„Das geht sogar echt gut. Mit einem guten Gefühl schläft man ja grundsätzlich einfacher ein. Und ehrlich gesagt dreht sich das Karussell der Gedanken bei mir gar nicht so schnell.“

Apropos Gedanken: Nimm uns doch mal mit in den Bus, der mit den Profis an Bord zum Mainzer Stadion fährt – nur ein Jahr, nachdem Du dort das U19- Finale um die Deutsche Meisterschaft gespielt hast. 
„Da habe ich im Bus tatsächlich auch dran gedacht. In solchen Momenten wird die Entwicklung deutlich, die man genommen haben muss.“

Die Entwicklung, die der Junge aus Gevelsberg, der 2014 einen Osterferienkurs der BVB Evonik Fußballakademie besuchte und ein Jahr später als E-Jugendlicher zu Borussia Dortmund gekommen ist, genommen hat, ist allein an den genannten Stationen der vergangenen zwölf Monate abzulesen. 

Nachzuhören ist sie im Gespräch. Der 18-Jährige hat sich nach eigener Einschätzung nicht nur mit dem Ball am Fuß weiterentwickelt, sondern auch im Kopf. Nach der Übertragung des Kapitänsamts in der U19 hat er sich mit verschiedenen Gesprächspartnern zusammengesetzt und über die einhergehende Verantwortung ausgetauscht – das hat die Vorbereitung und Herangehensweise an ein Spiel noch einmal geschärft. Und er hat gelernt, besser mit einer Niederlage im Training umzugehen. „Darin war ich schlecht, aber mittlerweile geht’s. Früher bin ich jedes Mal durchgedreht. Heute ärgere ich mich heftig, aber nur noch kurz – und dann geht es weiter. Morgen ist ein neuer Tag.“ 

Bei alledem war ihm die Schule ein guter Ausgleich zum Fußball. Dafür braucht’s nach dem Abitur nun Ersatz. Kjell Wätjen denkt über mehrere Optionen nach, auf der Suche nach etwas Verbindlichem, das ihm Orientierung bietet, und bei dem er den Fußball auch mal vergessen kann. 

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Gab es in diesem Jahr auch Herausforderungen, die Du bewältigen musstest?
„Den Switch hinkriegen zwischen Profis – komplett da sein, bereit sein, obwohl du im ersten Moment nicht gebracht wirst – und U19-Derby – vorangehen, Verantwortung übernehmen. Ich wusste nicht, dass ich das so hinkriegen würde. Aber es zeugt wohl von der angesprochenen Entwicklung.“

Mit Entwicklungen – zumal in diesem Tempo – gehen immer auch Erlebnisse und unfassbar viele Eindrücke einher, die es auch zu verarbeiten gilt. Wie gelingt Dir das? Wer unterstützt Dich dabei?
„Mein U19-Trainer Mike Tullberg und die Psychologen aus dem NLZ, mit denen ich viel spreche. Auch oben kriege ich viel Kritik von den Jungs, die schon länger dabei sind. Das nehme ich gerne mit. Und auch mit der Familie rede ich viel über Eindrücke. Meine Eltern können von Situationen aus ihrem Leben berichten, in denen sie auch Verantwortung übernommen haben. Diese Erfahrungen aus anderer Perspektive helfen sehr.“

Sprecht ihr zuhause generell viel über Fußball?
„Ich bin nicht so der Fan davon. Das hat uns auch der Trainer mitgegeben: Bestenfalls sollen wir Fußball und Familie trennen. Das ist mir im vergangenen Jahr noch nicht so gut gelungen, mittlerweile weiß ich aber, was was ist. Allerdings ist es mit den ganzen Kadernominierungen zuletzt immer mehr geworden – und da wollen sie zuhause natürlich auch wissen, was los ist, vor allem mein kleiner Bruder. Aber wenn es mir zu viel wird, dann sage ich das inzwischen auch. Natürlich spreche ich gerne über meine Entwicklung bei Borussia Dortmund – aber nur noch bis zu einem gewissen Punkt. Danach muss ich dann auch mal abschalten, um das alles zu verarbeiten.“

Das erste Mal vor der Gelben Wand: Was hast Du gespürt? Was gefühlt? Was gedacht?
„Das ist schon krass. Ich hatte es schon ein paar Wochen zuvor gegen Atletico mitgekriegt. Das war für mich das Nonplusultra, das war unfassbar, wie laut die sein können, wie viel Energie die freisetzen können und wie wichtig das auch für die Mannschaft ist. Das kann man mitunter auch am Spielverlauf ablesen; da steht es plötzlich 2:2 und dann kommen die noch mal. Aber wenn man erstmal selbst vor der Süd spielt, dann ist das noch mal was anderes; auch wenn es nicht das Champions-League-Viertelfinale ist, sondern Bundesliga-Spieltag 32. Es ist etwas ganz Besonderes, weil man natürlich als Kind davon träumt, dass einmal 80.000 deinen Namen rufen. Diesen Kindheitstraum in dem einen Moment erfüllt zu bekommen, ist überwältigend. Als ich im Spielertunnel stand und hörte, wie Nobby die Aufstellung verlas, kam mir tatsächlich eine Träne.“

Verständlich. Aber wie kriegst Du es hin, Dich nach einem solch emotionalen, intensiven Moment, der bestenfalls niemals enden müsste, zu konzentrieren, in engen Spielsituationen sehr schnell sichere Entscheidungen zu treffen? 
„Ich konnte und kann es ganz gut ausblenden, dass da auf einmal so viele Menschen zuschauen. Und dann habe ich gegen Augsburg mehr oder weniger gespielt wie immer.“ 

Was in der Vergangenheit nicht immer jedem auf Anhieb gelungen ist, obwohl gleichfalls hoch veranlagt. Selbst für gestandene Bundesliga-Spieler kann der Tempel auch zu viel Eindruck machen, zu viel Druck ausüben, zu viel an brachialer Wucht und Erwartung vermitteln. Allerdings, und das sagt wiederum Kjell Wätjen selbst, was ihn auszeichnet, habe beim Heimspiel gegen Augsburg auch nicht so viel auf dem Spiel gestanden. „Deshalb konnte ich befreit da drangehen und bin für den Zeitpunkt meines Debüts sehr dankbar.“ 

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Viel auf dem Spiel stand dann jedoch drei Tage später. 

Wie muss man sich das vorstellen: morgens Abi-Prüfung in Mathematik, abends Champions- League-Halbfinale in Paris?
„Ich hatte an dem Tag durchweg ein gutes Gefühl. Es fing morgens schon gut an, obwohl die Klausur kernig war. Danach habe ich nicht wie üblich mit Mitschülern gequatscht, sondern bin direkt los, hab mich schnell fertig gemacht, bin nach Paris geflogen und hab die Jungs dann im Hotel getroffen.“

Und der Abend war ja dann auch ganz okay. 
„Der Abend war sehr, sehr, sehr, sehr gut. Insgesamt war das ein Tag, den ich nie vergessen werde.“

Was nimmst Du als junger Spieler am meisten von einem solchen Abend mit: die Atmosphäre, die bombastisch ist, oder eine konkrete Erfahrung, die Dir irgendwann nochmal nützen wird? Stichwort: Ruhe bewahren, nach Mats Hummels und Gregor Kobel gibt es auch noch Aluminium... 
„Ich werde mich an den Tag erinnern, weil es viel war, auch viel Prüfungsdruck, morgens und abends, da wurden wir auch auf die Probe gestellt. Und ich habe mitgenommen, dass man das alles auf jeden Fall schaffen kann. Man kann damit umgehen und gegen eine der besten Mannschaften Europas bestehen, und sei es mit dem Glück der Tüchtigen. Das wird mir noch helfen, da bin ich fest von überzeugt.“

Es ist schon so manches Toptalent in den Himmel gesungen worden – und dann nie ganz oben angekommen. Wer oder was erdet Dich?
„Das Gefühl, dass es gerade ganz gut läuft, in Verbindung mit dem Wissen, dass es auch ganz schnell in die andere Richtung gehen kann. Ein Jahr wie das vergangene hatte ich noch nie – aber ich hatte schon das Gegenteil. Mit 14 hatte ich ein ganz bescheidenes Jahr, durchsäht von Verletzungen, da stand alles auf der Kippe, alles. Ich stand vor der Frage, ob es mit dem Fußball weitergeht. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich Respekt vor dem guten Gefühl, das auch sehr flüchtig sein kann. Deshalb schreie ich jetzt auch nicht Juchhei. Ich bin eigentlich ganz entspannt, weil ich es einschätzen kann. Egal, wie gut es gelaufen ist – morgen kann es knallen und dann ist es vorbei. Deshalb genieße ich jeden Tag, hebe nicht ab und mache das Beste daraus.“

Kjell Wätjen, 18, hat einen sportlichen Höhenflug – und dabei Bodenhaftung. Gefahr, abzuheben, besteht nicht. Als nach dem Training klar war, dass er den vereinbarten Interviewtermin nicht wird halten können, hat er eine WhatsApp-Nachricht geschickt, dass es später werde, er sich aber unter der Dusche beeilen werde. Er war der Erste in elf Jahren. 
Autor: Nils Hotze 
Fotograf: Hendrik Deckers 

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA 216. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.

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