Im zweiten Teil eines ausführlichen Interviews mit Patrick Owomoyela spricht Jude Bellingham über schlaflose Nächte, sein bestes Spiel für den BVB und seine Ziele für die laufende Saison. Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

Erinnern wir uns an den späten Ausgleich gegen die Bayern. Am Ende fühlte es sich wahrscheinlich wie ein Sieg an. So viel Enthusiasmus, so viel Freude. Wie oft schaust Du Dir diese Szenen an?
„Du versuchst immer, solche Momente zu genießen, aber es ist wirklich schwierig im Fußball, weil du so schnell weitermachen musst. Wenn man die Möglichkeit hat, sie noch einmal anzusehen, denke ich nur, was habe ich da gemacht? Und ehrlich gesagt, ich bin einfach komplett durchgedreht. Ich kann mich nicht erinnern, was ich tat. Ich lief nur herum, lief zu Tony. Man verliert sich einfach in den Emotionen. Ich habe eine Kamera genommen und man sieht, wie mir fast die Augen tränen, weil wir uns so angestrengt haben und wegen der Erleichterung, dass wir das Spiel nicht verloren haben. Aber wir haben dieses Spiel nicht gewonnen. Und das ist immer das, was mich nervt. Stell dir vor, wir könnten ein Spiel wie dieses gewinnen oder die Spiele, in denen wir zurücklagen und nicht zurückgekommen sind und am Ende verlieren. Ich denke, das ist ein perfektes Beispiel dafür: Schau dir diesen Jubel an und schau mal, wie viel es uns bedeuten würde, wenn wir öfter in schwierigen Situationen so reagieren würden. Das ist die Motivation.“

Kannst Du nach diesen Spielen einschlafen oder liegst Du im Bett und denkst immer wieder darüber nach?
„Ehrlich gesagt, schlafe ich nach keinem Spiel gut. Ich schlafe auch unter der Woche nicht richtig gut. Du machst dir manchmal so viel Druck, endlich einzuschlafen, dass du es nicht schaffst. Aber offensichtlich reden wir jetzt über Momente nach Spielen. Ich finde es wirklich schwierig, nach Spielen einzuschlafen, weil dein Verstand einfach nie Ruhe gibt. Es gibt Höhepunkte und du denkst: Oh, das war super. Aber dann gab es zum Beispiel das Spiel gegen Stuttgart, wo wir zu Hause 5:0 gewonnen haben und ich zwei Tore gemacht habe und dachte, ich hätte ein drittes Tor machen sollen. Ich lag im Bett und hatte meine Spielszenen auf mein Handy geschickt bekommen. Ich habe mir die Szene angesehen, in der ich noch einen Lauf hätte machen können und einen besseren Winkel für einen Torschuss gehabt hätte. Und ich dachte nur, warum habe ich das nicht getan? Es nervt dich so sehr, dass du es übertreibst und dann irgendwann einfach abschaltest. Du kannst dich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Morgens wachst du dann auf, aber es ist wirklich seltsam. Man hat körperlich und emotional so viel in das Spiel gesteckt, dass es schwer ist, das Adrenalin zu drosseln, wenn es vorbei ist, weil es immer noch durch deinen Körper fließt. Und du denkst immer noch an all das, was hätte passieren können.“

Was ist schlimmer: Die Situationen, in denen es noch besser hätte laufen können, oder die schlechten Situationen in einem schwachen Spiel?
„Mit Abstand die schlechten Sachen. Ich denke immer daran, was ich hätte mehr machen können.  Immer. Und es ist hart, weil man sich selbst fertig macht und sich in eine miese Stimmung bringt, wenn man nur so denkt. Aber ich glaube, jeder muss diesen Sinn zur Selbstreflexion haben. Wenn man im Fußball und im Leben Dinge sieht, die nicht gut laufen, kann man nicht einfach sagen: Nächste Woche wird schon alles gut sein. In dem Job, den wir machen, beeinflusst die letzte Woche die nächste Woche und die Woche danach und natürlich die Tabelle. Und das betrifft dann die Rückrunde und das Saisonende. Es ist also schwer, nicht in diesen Modus zu verfallen: Oh, ich hätte mehr tun können, ich hätte mehr tun können. Aber an einem bestimmten Punkt drehe ich das ‚was hätte ich mehr tun können‘ in ein ‚was ich im nächsten Spiel mehr tun werde‘. Und ich denke, diesen Schalter zum richtigen Zeitpunkt zu finden, hilft, sich auf das nächste Spiel vorzubereiten.“

„Der Pokal ist so schön“

Lass uns zurück auf das Pokalfinale 2021 schauen.
„Ich konnte einfach nicht aufhören, den Pokal anzuschauen. Er ist sehr schön, er ist schwer. Ich konnte aber nicht glauben, dass wir ihn gewonnen haben. Es ist mein erstes Jahr, und ich kann nicht glauben, dass ich zu einem Verein wie Dortmund gekommen bin und zur Geschichte des Vereins beigetragen habe. Es ist so ein großer Verein. Sie haben schon so viel vor mir erreicht und das wird auch in Zukunft so sein. Aber an dem hier war ich beteiligt. Und um ehrlich zu sein, habe ich das Gefühl, dass ich das noch einmal machen muss.“ 

Es muss zumindest zu Deiner Entscheidung, zu einem Verein wie Dortmund zu kommen, beigetragen haben, Titel gewinnen zu können. 
„Zu 100%. Ich habe das Gefühl, dass es immer Vereine gibt, bei denen sich der Erfolg etwas anders anfühlt, weil die Fans so eng mit der Mannschaft verbunden sind, weil die Stadt so durch den Fußball verbunden ist. Es bedeutet einfach mehr. So ein Sieg bedeutet den Fans so viel. Und damit auch dir. Weil du zum Dortmund-Fan wirst. Du wirst ein ‚Dortmunder Junge‘.“

Es war eine unglückliche Zeit, um einen solchen Titel zu gewinnen, weil keine Fans im Stadion waren. Stell Dir also vor, wie es sich angefühlt hätte, mit 70.000 Menschen in Berlin und wahrscheinlich einer halben Million auf den Straßen, als ihr zurückgekommen seid. 

„Es ist ein bisschen deprimierend. Du hast mir jetzt die ganze Sache etwas ruiniert.“ 

Es ist immer noch etwas Besonderes, aber ich kann es Dir sagen, weil ich es mit Fans erlebt habe und Du gerade erwähnt hast, wie wichtig es für die Fans ist.
„Ja, definitiv. Weil du das Feedback aus den sozialen Medien bekommst, wenn du die Videos der Fans siehst. Es gab Bengalos auf dem Rückweg nach Brackel. Du denkst: Wow, die feiern das jetzt richtig. Aber es persönlich erlebt zu haben, etwa auf dem Borsigplatz, dort zu feiern, das hätte einfach so viel mehr bedeutet. Und das ist etwas, das ich dieses Jahr schaffen möchte.“ 

Im Februar spielen wir gegen unseren Nachbarn Bochum. Es wird ein Flutlichtspiel. Es wird ein ausverkauftes Stadion. Wie sehr brennst Du schon auf diese Pokalspiele, diese Ko.-Spiele, wo es um alles oder nichts geht?  
„Total. Ich habe dir immer gesagt: Ich liebe es einfach, große Spiele zu spielen, diese wichtigen Spiele. Selbst Hannover war so eins. Es war ein schwieriges Spiel. Wir lagen 1:0 in Führung, spielten aber nicht so gut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie wieder ins Spiel gekommen wären, wenn wir auf dem gleichen Niveau weitergespielt hätten. Und dann reinzukommen und dieses Tor zu schießen, das uns geholfen hat weiterzukommen: Diese Momente, in denen du das Gefühl hast, dem Team in wichtigen Spielen geholfen zu haben, wie in einem K.o.-Spiel, fühlen sich riesig an. Und ich weiß, dass die Mannschaft es draufhat, auch gegen Bochum wieder abzuliefern. aber es wird kein einfaches Spiel. Wir müssen mit der richtigen Einstellung, der richtigen Mentalität dorthin fahren und die richtige Seite von uns zeigen. Wir müssen so spielen, dass es die Bedeutung für die Fans in Bezug auf den Wettbewerb widerspiegelt und was es für sie bedeuten würde, wenn wir den Pokal gewännen. Ich denke, das wäre die größte Wertschätzung für sie und gleichzeitig gibt uns das die besten Chancen, um weiterzukommen.“

Und der Gewinner ist nur zwei Spiele vom Finale entfernt.  
„Genau. Man weiß also nie, was passieren kann. Danach kannst du anfangen zu träumen, denke ich.“ 

 

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Lass uns vom DFB-Pokal zur Champions League wechseln. Du hast in diesem Wettbewerb ein schönes Kopfballtor gegen Manchester erzielt. 
„Es war wirklich nur Antizipation. Ich dachte, ich wüsste, wohin der Ball gehen wird. Und ehrlich gesagt war ich überrascht, dass er so weit zu mir durchgekommen ist. Wenn Marco den Ball schießt, hat er ein bisschen Spin, das schafft etwas mehr Tempo. Ich wusste also, dass eine Berührung reichen würde und ich die Richtung des Balls nicht ändern musste, weil der Torhüter bereits draußen war. Das war ein wirklich schöner Moment. Diese Spiele in der Champions League, wenn die Hymne erklingt und es spät abends ist, fühlen sich einfach an wie große Spiele. Sie fühlen sich wie riesige Spiele für den Verein und die Fans an, und es wäre enorm wichtig für uns, gegen im Achtelfinale gegen Chelsea abzuliefern.“ 

Musst Du Dich manchmal kneifen? Man geht raus, hört die Hymne, spielt solche Spiele und Du machst sogar noch ein Tor gegen die wahrscheinlich beste Mannschaft Europas.  
„Das möchte ich machen. Ich habe immer davon geträumt, dass ich solche Momente erleben darf. Also warum sollte ich sie an mir vorbeiziehen lassen? Ich habe davon geträumt, bei solchen Spielen mitzuspielen und jetzt denke ich nicht: Oh, es ist ein bisschen zu groß für mich, vielleicht sollte besser ein anderer spielen. Ich bin mir sicher, dass alle anderen in diesem Team in der Lage sind, ein solches Tor zu erzielen. Aber trotzdem ist es so, dass man solche Momente genießen muss. Du musst es leben, statt nur davon zu träumen.“

Hast Du die berühmte Jubelpose, wie Du vor den Fans feierst, eingerahmt in Deinem Wohnzimmer? 
„Nein. Ich möchte ein Bild davon haben, weil ich diesen Jubel auch schon in Birmingham gemacht habe und jetzt auch für England.“ 

Wo rangiert dieser Moment bisher in Deiner Karriere? 
„Das war ein schöner, aber wir haben das Spiel verloren. Also nicht zu hoch, würde ich sagen. Ich denke, ich werde mein erstes Birmingham-Tor immer auf eins setzen, wahrscheinlich den DFB-Pokal auf zwei. Ich würde sagen, es ist sehr knapp.“ 

Was ist mit dem Tor gegen Bielefeld, dass Du mit links erzielt hast? 
„Dieses Dribbling, das war das schönste Tor. Aber von der Bedeutung her war mein bestes Tor sicher in Sevilla. Ich war zum ersten Mal Kapitän in der Champions League, traf, bereitete ein Tor für Rapha vor, wurde Man of the Match, meine Mutter war dabei. Es fühlte sich wie der perfekte Abend an, um ehrlich zu sein.“ 

Was wird der Schlüssel sein, um Chelsea zu knacken? 
„Es geht darum, alle Waffen zu kennen, die sie haben, aber auch zu verstehen, dass wir sie ebenfalls vor Probleme stellen können. Sie erleben im Moment eine ziemlich schwierige Phase, und sie haben viele verletzte Spieler. Aber man muss echt blöd sein, um dieses Team abzuschreiben. Ich bin sicher, dass sie wieder viele Spieler im Kader haben werden, wenn wir gegen sie spielen. Es wird darum gehen, die Dinge nicht hinzunehmen, sondern sich mit den Herausforderungen zu beschäftigen, die sich einem in dem Moment stellen. Ich freue mich sehr darauf, zuerst unser Spiel in Dortmund und dann in England zu spielen. Hoffentlich gewinnen wir dieses Achtelfinale.“

„Sevilla fühlte sich wie der perfekte Abend an“

Wir sind jetzt in Spanien. Tagsüber ist es meist sonnig. Es sind etwa 19 Grad, gute Bedingungen. Das sollte schon für gute Stimmung sorgen. Aber es gibt auch viele Rückkehrer, allen voran natürlich Sebastien Haller. Wie nimmst Du ihn bisher wahr?  
„Es ist wirklich toll, was er geschafft hat. Ich habe zu jemandem gesagt, ich glaube, es war mein Vater: Ich kann nicht glauben, dass er in so guter Form zurückgekehrt ist, nach allem, was er durchgemacht hat. Er ist so fit und bereit. Wenn du ihn beim Training siehst, würdest du nicht denken: Oh, er war lange raus. Es ist sein Verdienst, die Art von Profi, der er ist. Jeder weiß, wie gut er als Spieler ist. Dein Respekt für ihn geht einfach durch die Decke. Sich dieser Art von Herausforderung zu stellen und zurückzukommen. Und er vermittelte fast den Eindruck, als würde er sich darüber keine Sorgen machen. Die Art und Weise, wie er alles anging, war: Mir wird es gut gehen. Ich werde zurückkommen und dann werde ich bereit sein. Im Training sieht er nicht so aus, als käme er nicht mit. Es ist wirklich schön, dass er wieder zurück ist. Hoffentlich kann er ein paar Tore für uns schießen.“

Wenn Du diese Art von Qualitätsspielern in der Mannschaft siehst, wie optimistisch bist Du? 
„Wie ich schon sagte, wenn alle gesund bleiben, haben wir einen starken Kader. Wir hatten in der Hinrunde wirklich Pech mit Verletzungen. Das hat den Schwung manchmal rausgenommen, als wir anfingen, wirklich wichtige Siege zu holen, wie gegen Schalke im Derby. Aber dann verletzt sich Marco. Man geht mit gemischten Gefühlen aus dem Spiel und kann den Schwung nicht in das nächste mitnehmen. Alle Spieler zurückzuhaben fühlt sich an, als hätten wir ein Transferfenster und wir hätten acht neue Spieler geholt. Das freut uns alle. Es entsteht auch ein Wettbewerb um die Plätze, der das Beste aus allen im Training herausholt. Wenn die Trainingsintensität besser ist, spielen wir am Wochenende immer besser.“

Wie wirst Du helfen? Was wird Deine Rolle im Team sein?  
„Ich denke, es wird ähnlich wie in der Hinrunde sein, in der ich mehr Verantwortung übernahm. Mit jedem Jahr oder halben Jahr, das ich für den Verein gespielt habe, ist meine Verantwortung in der Mannschaft gewachsen. Ich muss weiterhin überall auf dem Platz sein und mein Bestes geben, um vorne wie hinten meinen Beitrag zu leisten, Spiele zu kontrollieren, zu versuchen, das Mittelfeld zu dominieren. Ich denke, jeder ist sich seiner Verantwortung bewusst und es geht nur darum, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Wenn wir das alle in unseren jeweiligen Aufgabenbereichen hinbekommen, mache ich mir keine Sorgen. Wir haben mehr als genug Qualität.“

Lass uns etwas weiter vorausschauen, in den Juni 2023. Was muss passieren, damit Du sagen kannst, dass es insgesamt eine gute Saison war? 
„Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, ein Pokal macht sie offensichtlich zu einer guten Saison. Und ich denke, das wäre wirklich schön, aber es gibt immer noch so viele Spiele. Die Idee, auf eine bestimmte Platzierung in der Liga zu schielen und zu sagen: Naja, wir haben noch genug Zeit, um in die Champions League zu kommen, funktioniert nicht. Besser wäre: Lass uns nur Spiele spielen. Lasst uns einfach Spiele gewinnen und schauen, wohin es uns führt. Ganz einfach.“

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

BVB-TV by 1&1: Das Interview mit Jude Bellingham im Video