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Interview

Jamie Bynoe-Gittens: „Ich glaube an den BVB!“

Mit einem langfristigen Bekenntnis zu Borussia Dortmund, mit einer Unterschrift unter einen bis 2028 datierten Vertrag hat Jamie Bynoe-Gittens ein Zeichen gesetzt. Warum? „Ich glaube an diesen Klub, an diese Mannschaft und dass sie das Potenzial für große Erfolge hat“, sagt er im Interview und verrät, mit welchem früheren Borussen er regelmäßig telefoniert und welchen Mitspieler er schon aus seiner Zeit in Manchester kennt.

Es fühlt sich schwer nach Winter an, aber Jamie Bynoe-Gittens zieht erst mal die Jacke aus. Strenge Anweisung von Klub-Fotograf Alex Simoes: „Sorry, Jamie: Falsches Logo, falsche Farbe, so brauchen wir gar nicht erst anzufangen!“ Glücklicherweise findet sich im Studio von BVB-TV auf dem Trainingsgelände in Brackel ein Hoodie in den Vereinsfarben, und der Fototermin mit Dortmunds englischer Offensivbegabung kann seinen Lauf nehmen.

Hallo Jamie, wie geht es Dir? Und vor allem: Wie geht es Deiner Schulter?
„Viel besser. Das Gelenk ist stabil und bereitet mir keine Probleme mehr. Ich hatte mit diesem Problem zu kämpfen, seit ich 14 Jahre alt war. Jetzt ist endlich alles auskuriert. Ich bin topfit und bereit, mich voll und ganz dem Fußball zu widmen. Ich kann und will hier noch sehr viel lernen.“

Von wem lernst Du hier am meisten?
„Hmm, wo fange ich da an? Wir haben auf dem Trainingsplatz einen unglaublichen Schatz an Talenten. Schau dir zum Beispiel Gio Reyna an, ein unglaublich smarter Spieler. Wenn du ihn auf Videos beobachtest, musst du auch darauf achten, was er macht, bevor er den Ball bekommt. Oder nimm Marco Reus, wie er sich mit dem Ball bewegt, seine großartige Technik. Von solchen Leuten kann ich verdammt viel lernen!“

Es heißt, dass Du Dir auch in Deiner Freizeit viel Fußball anschaust. Was denn so und welche Ligen?
„Nicht so sehr spezielle Ligen oder Spiele. Ich studiere ganz bewusst einzelne Spieler und versuche, von ihren individuellen Bewegungsabläufen zu lernen. Zurzeit meist von Kylian Mbappé oder Neymar, früher auch vom jungen Cristiano Ronaldo und noch früher von Arjen Robben. Als ich 14 war und auf die Akademie von Manchester City ging, habe ich ihn oder Riyad Mahrez so ziemlich jeden Tag studiert. Wie er vom Flügel in die Mitte zieht und schießt, das finde ich heute noch großartig. Ich versuche das auch ganz gern, bin aber noch ewig weit von seiner Qualität entfernt. Egal, ich arbeite daran, jeden Tag. Wenn du dich verbessern willst, musst du erkennen, was die anderen besser machen als du. Zum Beispiel Arjen Robben.“

Robben ist jetzt 39 Jahre alt und hat noch bis vor kurzem bei seinem Jugendklub FC Groningen gekickt. Marco Reus und Mats Hummels sind beide Mitte 30 und werden ihre Karriere wohl bei ihrem schwarzgelben Herzensklub beenden. Wie sieht denn Deine Zukunftsplanung aus?
„Oh ... Bis zu meinem Karriereende dauert es hoffentlich noch ein Weilchen, ich bin ja gerade erst 19 geworden. Aber ich habe Anfang Oktober ja nicht zufällig meinen Vertrag bis 2028 verlängert, da werde ich dann 24 sein. Mal sehen, was noch so alles kommt. Ich glaube an diesen Klub, an diese Mannschaft und dass sie das Potenzial für große Erfolge hat.“

Als junge Spieler wie Jadon Sancho, Erling Haaland oder Jude Bellingham in Dortmund spielten, hieß es immer, sie würden hier den nächsten Schritt machen. Ist der BVB für Dich ein Verein, bei dem Du auch den letzten, großen Schritt machen könntest?
„Warum nicht? Wir alle müssen jeden Tag gemeinsam daran arbeiten. Wie gesagt: Ich glaube an den BVB!“

Und dieser Klub glaubt an Dich. Sebastian Kehl hat bei Deiner Vertragsverlängerung gesagt, Du seist ein Versprechen für die Zukunft. Was darf sich denn der BVB von Dir versprechen? Und was versprichst Du Dir von ihm?
„Mein Versprechen sollte darin bestehen, Tore zu schießen, Tore vorzubereiten und die Fans zu begeistern. Und was ich mir verspreche? Ich will Titel gewinnen! Darum geht es im Fußball und um nichts anderes. Pokal, Meisterschaft, Europa – wir müssen immer den Anspruch haben, ganz oben mitzuspielen.“

Im vergangenen Mai wart Ihr so verdammt dicht dran an der Meisterschaft. Wie hast Du denn das finale Trauma gegen Mainz erlebt?
„Das war ein furchtbarer Tag! Für mich auf der Tribüne, weil ich wegen der Schulterverletzung passen musste. Aber genauso schmerzhaft war es zu erleben, wie die ganze Stadt, ja die ganze Region gelitten hat. Das tat weh!“

Jede Menge Generatoren, Lampen und Scheinwerfer sorgen dafür, dass es im Studio langsam wärmer wird. Jamie lüftet den Hoodie und lässt die Arme kreisen. Bynoe-Gittens lächelt und signalisiert: Ich bin bereit! Ein paar von seinen dunklen Locken sind gelb eingefärbt – gibt es eine schönere und plakativere Form der Identifikation mit seinem Klub? Der BVB hat ihn vor ein paar Jahren in der Akademie von Manchester City entdeckt, eben dort, wo auch Jadon Sancho ausgebildet wurde. Weil die beiden auch noch auf derselben Position auf dem Flügel zu Hause sind, hat das allerlei Vergleiche provoziert und Erwartungen geweckt, manchmal auch übertriebene. Der BVB baute ihn behutsam auf und führte ihn über die U19 an höhere Aufgaben heran. Mit 17 lief er zum ersten Mal in der Bundesliga auf und schoss dort in der vergangenen Saison sein erstes Tor.

Wir haben aus Deiner bisherigen Dortmunder Zeit ein paar sehr spezielle Momente herausgesucht. Vielleicht kannst Du zu jedem Einzelnen sagen, was Dir so durch den Kopf geht.
„Sehr gern!“

Beginnen wir mit Deinem ersten Bundesliga-Spiel im April 2022 gegen Bayern München.
„Das war natürlich ein erhebender Moment, das erste Spiel ist immer etwas ganz Besonderes. Ich wurde für Reinier eingewechselt und hatte es auf dem linken Flügel mit Benjamin Pavard zu tun. Schon sehr anspruchsvoll für ein Debüt, oder? Nicht ganz so schön waren die äußeren Umstände. Wir haben 1:3 verloren und die Bayern damit vorzeitig zum Meister gemacht.“

Das erste Spiel in der Startaufstellung eine Woche später gegen den VfL Bochum.
„Drei Tore von Erling Haaland, aber wieder eine Niederlage. Dennoch war es für mich ein unvergesslicher Nachmittag, der bewegendste Augenblick, seitdem ich in Dortmund bin. Das erste Mal vor der Süd, vor der Gelben Wand, es war unglaublich laut, eine fantastische Atmosphäre! Und ich durfte gemeinsam mit Jude Bellingham auf der linken Seite spielen. Dazu musst du wissen, dass ich Jude noch aus gemeinsamen Tagen in England kenne, er war in den Nachwuchsnationalmannschaften immer ein Jahr über mir. Als wir uns zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind, war ich 13 und er 14. Jude ist ein großartiger Fußballspieler und Mensch, der sportliche Erfolg beim BVB hat ihn genauso wenig verändert wie der Wechsel zu Real Madrid und der Aufstieg zum absoluten Weltstar. Wir telefonieren heute noch regelmäßig miteinander.“

Das erste Bundesligator zum zwischenzeitlichen 1:1 beim 3:1-Sieg am zweiten Spieltag der vergangenen Saison in Freiburg. Mit dem linken Fuß.
„Hmm, der Torwart sah nicht allzu gut aus, oder? Was soll‘s, ein Tor ist ein Tor, es war ja auch nicht ganz unwichtig und hat mich sehr glücklich gemacht. Mein Telefon ist übergelaufen vor Glückwunsch-Nachrichten. Wenn du als Offensivspieler dein erstes Tor in der Bundesliga geschossen hast, gehörst du irgendwie erst richtig dazu.“

Im Januar 2023 endlich das erste Tor zu Hause gegen den FC Augsburg, direkt vor der Süd. Diesmal mit rechts und sehr viel spektakulärer als das Tor in Freiburg. Nach einem typischen Robben-Move, nur seitenverkehrt.
„Und doch ist der linke mein besserer Fuß, jedenfalls, was das Schießen betrifft. Egal, das Gefühl danach war unbeschreiblich! Es war das erste Spiel nach meiner Schulter-Operation, ich musste damals vier Monate aussetzen. Ich war so glücklich, dass ich auf dem Platz beinahe geweint habe.“

Noch ein besonderer Moment: Das erste Champions-League-Spiel im schönsten Stadion der Welt gegen den FC Chelsea.
„Oh ja, ausgerechnet gegen eine englische Mannschaft, und dann auch noch gegen Chelsea. Ich bin in Reading aufgewachsen, ganz in der Nähe von London, und als kleiner Junge hatte ich auch mal die Möglichkeit, in Chelseas Akademie zu gehen. Ich habe mich dann für Reading entschieden, weil es einerseits gleich um die Ecke war und andererseits auch meinem Spiel entgegenkam. In Reading konnte ich mich frei entfalten, dribbeln und Spaß haben, diese Freiheit habe ich genossen. Bei Chelsea hätte ich mich anpassen und unterordnen müssen. Für meine Entwicklung war die Entscheidung für Reading die richtige. Aber natürlich habe ich Chelsea intensiv verfolgt und war auch oft im Stadion. Deswegen war dieses Spiel schon ein sehr denkwürdiges Ereignis für mich.“

Der Fototermin zieht sich jetzt schon zwanzig Minuten hin. Im Hintergrund lässt der Klubfotograf Alex seine Leica klicken, vorn erträgt Jamie die Regieanweisungen mit einer Engelsgeduld, wie er auch im Alltag die grätschenden Abwehrbeine wegsteckt. Um ihm die Zeit ein wenig zu verkürzen, schaltet der BVB-Fotograf die Musikanlage an. Jamie wählt einen Song der britischen Rapper Dave and Central Cee, er trägt den Titel „Sprinter“, was sich sehr gut in die Stärke des Dortmunder Dribbelkünstlers fügt. Die offizielle DFB-Statistik weist den Bayern Alphonso Davies mit einem Speed von 35,97 Stundenkilometer als schnellsten Spieler der laufenden Saison aus. Als Jamie Bynoe-Gittens in der vergangenen Saison beim 3:0 im Pokal gegen 1860 München spät eingewechselt wurde, kam er bei einem Flügelsprint auf 36 Sachen. Schnell noch ein paar letzte Fragen, bevor das Fotomodell sich auf dem Trainingsplatz wieder seinem Kerngeschäft widmen darf ...

Für Leute wie Dich haben die Deutschen den Begriff „Straßenfußballer“ erfunden. Kannst Du damit etwas anfangen?
„Na klar! Ein Straßenfußballer ist ein Junge, der nichts anderes im Kopf hat, als nach draußen zu gehen und zu kicken, bis es dunkel wird und noch länger. In meiner Heimatstadt Reading haben wir früher auf beiden Seiten zwei Taschen als Pfosten auf den Boden geworfen und gespielt, jeden Tag. Für uns gab es keine Computer, kein Internet und all diese Sachen. Für uns gab es nur Fußball. Also: Straßenfußball, wenn du so willst.“

Gab es denn auch Straßen-Cricket? Du sollst mal ein ganz guter Bowler gewesen sein und durchaus überlegt haben, für welche Sportart Du Dich entscheidest.
„Ha, lustige Frage! Nein, Cricket auf der Straße, das geht nicht, da brauchst du einen richtigen Platz. Ich habe eine Weile in meiner Schule gespielt, das hat schon Spaß gemacht. Mein Vater war ein guter Cricketspieler, er hat für sein County in Middlesex gespielt. Aber er hat mich nie in diese Richtung gedrängt. Er wollte, dass ich glücklich bin, und das war und bin ich auf dem Fußballplatz.“

Wann hast Du das erste Mal gemerkt, dass Du besser bist als die anderen?
„Als ich auf die Akademie von Manchester City gewechselt bin. Das war ein sehr großer Schritt für mich und meine Familie. Dreieinhalb Stunden mit dem Zug von Reading, ich habe dort in einer Gastfamilie gewohnt. Nicht so einfach für einen 14-Jährigen. Aber es war eine riesige Chance für mich. City hat damals regelmäßig großartige Spieler hervorgebracht, Leute wie Jadon Sancho, Phil Foden und Felix Nmecha, der seit dieser Saison beim BVB spielt. Felix ist vier Jahre älter, aber wir sind uns auf dem Akademie-Gelände oft genug über den Weg gelaufen.“

Es ist eine Sache, die Familie mit 13 zu verlassen und in eine andere Stadt zu ziehen. Aber viel heftiger muss es gewesen sein, ein paar Wochen nach dem 16. Geburtstag in ein fremdes Land zu ziehen. Wie hast Du Deinen Umzug aus England nach Deutschland erlebt?
„Das war schon eine seltsame, aber auch sehr prägende Erfahrung. Im Herbst 2020 stand fast das gesamte öffentliche Leben wegen Covid still, und ich konnte wenig bis gar nichts von meiner neuen Umgebung kennenlernen. Die Akademie ist toll, aber auf Dauer ist es nicht so spannend, immer in denselben Räumen rumzuhängen. Netflix, Playstation, Training – das war es. Wenn du so willst, hatte ich sehr gute Bedingungen, um sehr konzentriert zu arbeiten. Und in diesem Sinne war es eine gute Zeit.“

Was ist der Unterschied zwischen dem 16-Jährigen, der mitten in der Pandemie nach Dortmund kam, und dem Jung-Profi, der immer häufiger in der Startaufstellung steht?
„Das ist eine sehr gute Frage, denn so sehr achtet man ja gar nicht darauf, wie man sich selbst verändert. Ich glaube, der Jamie im Herbst 2023 hat mehr Geduld und Ausdauer, er ist mental stärker, versteht das Spiel besser als der Jamie im Sommer 2020. Und er ist körperlich sehr viel robuster und athletischer. Ich bin 1,75 Meter groß und wiege jetzt 77 Kilo, vier Kilo mehr als bei meiner Ankunft in Dortmund. Das hilft mir sehr in dieser Liga. Der Fußball in Deutschland ist sehr viel körperbetonter als der, den ich aus England gewohnt war.“

Was gibt es noch für Unterschiede zwischen diesen beiden Fußballkulturen?
„Dazu muss ich einschränkend sagen, dass ich nur über den Akademie-Fußball in England urteilen kann und nicht über den in der Premier League, das macht einen großen Unterschied. Bei ManCity haben wir taktisch auf einem hohen Niveau gespielt, wir hatten viel Ballbesitz und so ziemlich jedes Spiel gewonnen. Der Sprung zur Bundesliga ist schon mal deshalb so groß, weil im professionellen Fußball sehr viel mehr gelaufen wird. Das kannte ich aus dem Akademie-Fußball nicht.“

Was bedeutet das für Dein Spiel? Woran arbeitest Du an Dir?
„Ich will ein entscheidender Faktor im Spiel sein. Einer, der dem Team hilft, Spiele zu gewinnen. Das ist mir wichtiger als Tore oder Assists. Dafür ist es wichtig, im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wann aufs Tor schießen, wann passen, wann dribbeln? Das sind die Fragen, die du dir in jedem Spiel immer wieder stellst, und du musst sie in wahnsinnig kurzer Zeit beantworten.“

Wie gehst Du dabei vor?
„Wie schon zu Beginn unseres Gesprächs gesagt: indem ich mir immer wieder Videosequenzen anschaue. Wie mache ich das, wie machen es andere? Otto Addo hilft mir dabei. Er sucht die Videos für mich heraus, bespricht die Szenen mit mir und zeigt mir, wo und wann ich was besser machen kann. Ich kann mir so etwas gar nicht oft genug anschauen. Gerade erst hat mir Otto gesagt, dass ich unmittelbar vor einer Entscheidung noch einmal den Kopf hochnehmen und mir einen letzten Überblick verschaffen soll. Auch daran arbeite ich.“

Autor: Sven Goldmann
Fotos: Alexandre Simoes

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.

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