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Interview

Thomas Delaney: Erst die Arbeit, dann der Spaß!

Er verkörpert die Mentalität der Skandinavier: füreinander da zu sein. Thomas Delaney ist das, was landläufig als „Teamplayer“ umschrieben wird, er verspürt eine unbändige Lust aufs Kämpfen, er schont auf dem Platz weder sich noch andere; er reizt die Messlatte des Erlaubten zwar aus, überschreitet aber nie die Grenze zur Roten Karte. „Vom Platz zu fliegen, würde für die Mannschaft alles kaputtmachen“, sagt der Däne. 

Wer nun wirklich überhaupt keinen nennenswerten Zugang zum Fußball hat und bestenfalls vom Hörensagen weiß, dass es sich dabei um die schönste Nebensache der Welt handeln soll, musste sich schon sehr wundern. Das international eigentlich hoch angesehene Dortmund, so war aus brüllenden Schlagzeilen in spanischen Zeitungen zu erfahren, beheimate einen ausgesprochen finsteren Gesellen. Jedenfalls verstiegen sich die besonders fantasievollen unter den iberischen Journalisten nach dem Scheitern ihres FC Sevilla im Achtelfinale der Champions League in Dortmund zu der martialischen Behauptung, dass dabei ein „Menschenfresser“, wahlweise auch eine „Bestie“, am Werk gewesen sei: Erling Haaland.  

Dietmar Hamann, Fußball-Erklärer im Bezahlsender Sky, schrieb den Prestige-Erfolg noch einem anderem BVB-Profi auf den Deckel: Thomas Delaney, den er flugs als „Drecksack“ einsortierte, was der Champions-League-Sieger von 2005 aber als Ehrentitel verstanden wissen wollte. Obwohl Delaney sein Geld schon seit gut vier Jahren in Deutschland verdient, ist bei ihm noch sprachliche Aufklärungsarbeit nötig: Ein Drecksack ist nichts, was man sich an die Schulter hängt (wie er ursprünglich vermutete), sondern ein hart, unangenehm und eklig spielender Kicker. 

Menschenfresser, Bestie, Drecksack – was ist das für eine eigenartige Ansammlung von Fußballern in Dortmund, Thomas?
(schmunzelt) Erling hat immer Hunger. Hunger auf Fußball. Hunger auf Tore. Das ist sein Job, das ist sein Leben: Tore machen. Wenn Erling trifft, ist es ihm egal, dass er vorher vielleicht ein ganz schlechtes Spiel absolviert hat. Diese Mentalität ist ganz selten im Fußball – und bei ihm ganz deutlich. 

So deutlich und klar, wie Hamanns Drecksack-Charakterisierung auf dich zutrifft?
Ich probiere, die Grenze nie zu übertreten. In meinem Leben habe ich bestimmt schon hundert Gelbe Karten bekommen, aber noch nie eine Rote. Mein Job ist es anzugreifen, zu stören, den Gegner zu nerven. Aber möglichst immer im Rahmen des Erlaubten. Vom Platz zu fliegen, würde für die Mannschaft alles kaputtmachen. 

Kannst du dir irgendein Szenario vorstellen, bei dem du auf dem Rasen doch mal die Kontrolle verlierst? 
Ich hoffe, das wird nie passieren. Ich hätte aber kein Problem mit einer Roten Karte, wenn ich in einem Finale in letzter Sekunde mit einem Foul einen Konter verhindere und dann runter muss. 

Zwei Skandinavier, ein Norweger und ein Däne, gehen in Dortmund mit voran. Welche fußballerische Kultur verbindet euch?
Als Fußballer bist du dein eigener Herr. Aber genauso wichtig ist es für uns, dass die Mannschaft funktioniert. Dass wir alle mitnehmen. Das ist Teil der Mentalität von den Menschen in Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland oder Island – füreinander da zu sein. Vor allem: In schlechten Zeiten immer positiv zu bleiben. Das ist für mich persönlich ein wichtiges Anliegen. Außerdem natürlich: das Kämpfen, sich zu wehren, der körperliche Einsatz. 

... und hart im Nehmen zu sein. Beobachtern fiel auf, dass du im Winter selbst bei eisigen Temperaturen in kurzer Hose trainierst. Wie kalt muss es werden, damit Du mal lang trägst? 
Beim Aufwärmen wäre das noch okay. Aber zum Beispiel mit Handschuhen spielen – dann würde mein Vater sauer (lacht). Also wird das nie passieren. Bei Erling auch nicht, sein Vater mag das auch nicht. Handschuhe oder lange Ärmel verbinde ich einfach nicht mit Fußball. 

Hamanns „Drecksack-Urteil“ entstand im Champions-League-Rückspiel gegen Sevilla, als eurem Führungstreffer dein rustikaler Körpereinsatz gegen Jules Koundé vorausging, Schulter gegen Schulter, Mann gegen Mann. Liebst du solche Momente? 
Ja, klar. Besonders, wenn daraus wie gegen Sevilla noch ein Tor entsteht. Ein Stürmer freut sich über ein gutes Dribbling oder über ein Tor, ein Verteidiger freut sich über ein gutes Kopfballduell. Und ich beziehe meine Bestätigung aus einem Duell, das aufzeigt: Wir sind da! Wir lassen uns nichts gefallen. Wir verbeißen uns in die Zweikämpfe. 

Ist Fußball in erster Linie Kampfsport für dich? 
Nein. Kampf ist nur ein Teil. Wir haben Offensivspieler, die weniger Körperlichkeit in ihrem Spiel haben, und wir haben Spieler, die für eine gute Balance wichtig sind. Zu denen gehöre ich. 

Geht es in jedem Duell darum, beim Schiedsrichter auszutesten: Was darf ich?
Was erlaubt ist, spürt man relativ schnell. Mal gibt es Schiedsrichter, die überhaupt keinen Körperkontakt mögen, mal lassen sie auch eine Blutgrätsche oder einen Ellenbogen-Einsatz durchgehen. Für mein Spiel ist es wichtig zu wissen: Wie weit darf ich gehen? Oder wenn ich schon Gelb habe: Wann muss ich aufpassen, damit ich nicht vom Platz fliege? 

In der Bundesliga herrscht der Eindruck vor, dass die Schiedsrichter im Moment etwas großzügiger pfeifen. Wie sehr kommt dir das entgegen?
Nach meinem Duell mit Koundé gab es Stimmen, die einen Freistoß für Sevilla forderten. Für mich war es keiner. Im Moment ist es tatsächlich so, dass uns die Schiedsrichter gestatten, mit Körperkontakt zu spielen. 

Im Schnitt läufst Du in 90 Minuten mehr als zwölf Kilometer. Wärst Du auch ein guter Leichtathlet geworden?
Um Himmels Willen. Ich hasse es zu laufen. Es macht mir keinen Spaß, das Laufprogramm zu absolvieren, das wir für den Urlaub bekommen. Wenn der Ball vor mir liegt, ist das etwas anderes. Aber ohne? Nur wenn es unbedingt sein muss. 

In vielen Begegnungen ist erkennbar, dass sich unter Edin Terzic ein stilistischer Wandel vollzogen hat. Hin zu einem aktiveren, intensiveren Auftritt, der Fußball nicht nur als Spektakel begreift und um eine körperbetonte Kompetente erweitert. Delaney hält den eingeschlagenen Weg für richtig.

Es wurde bemängelt, dass in Reihen des BVB zu viele Feinfüße, aber zu wenige Arbeiter stehen. Auch wenn es noch immer seltene Ausreißer wie in Köln gibt – befindet sich das Team insgesamt jetzt doch im Gleichgewicht von Künstlern und Kämpfern? 
Ja, wir haben in der Regel mittlerweile eine viel bessere Balance. Auch die Supertechniker, die für unsere Spielweise stehen, haben gelernt, sich körperlich besser einzubringen. 

Wie ist es Edin Terzic gelungen, offensiv-begabte Spieler auch für die Defensiv- und Drecksarbeit zu begeistern?
Indem er sie überzeugt hat, dass sie sich erst in die Situation bringen müssen, diese Extrasekunde am Ball zu haben. Wer seine Freiheit auf dem Platz will, muss sie sich erst erkämpfen. 

Vor allem bei Jadon Sancho hatte man bis zu seiner Verletzung das Gefühl, dass der Groschen in dieser Hinsicht gefallen ist.
Ganz klar, er hat sich in der Rückwärtsbewegung deutlich verbessert. Und als er neulich in der Endphase des Spiels gegen Augsburg für ein paar Minuten die Kapitänsbinde getragen hat, war er plötzlich zehn Zentimeter größer und ist noch mehr gelaufen. Das fand ich ganz cool. 

Überhaupt Terzic. Unter ihm zeigte zuletzt auch bei anderen Spielern die Formkurve nach oben. Wie arbeitet Terzic?
Vertrauen und Zeit – darauf kommt es an. Das fängt im Training an. Die Jungs haben gut gearbeitet, selbst dann, wenn es bei ihnen mal nicht lief. Alle wissen, dass sie dann bei Edin ihre Chance kriegen, weil er rotieren lässt. 

Warum dauerte es ein paar Wochen, bis sich die von Terzic angeschobenen Veränderungen zunehmend auch in positiven Ergebnissen niederschlugen?
Am Anfang hat uns das eine oder andere Erfolgserlebnis als Bestätigung der wirklich guten Trainingsarbeit gefehlt. Als Fußballer bezieht man sein Selbstvertrauen über die Spiele. Und darin hat es anfangs noch gehakt. 

Sportdirektor Michael Zorc äußerte in der Welt am Sonntag die Überzeugung, dass der 3:2-Sieg in Sevilla ein Schlüsselerlebnis gewesen sei. Stimmst du zu? 
An diesem Abend war ich im Krankenhaus – bei der Geburt unserer Tochter. Ich hatte aber auch vor dem Fernseher ein gutes Gefühl, obwohl wir schnell in Rückstand lagen. 

Seit diesem Abend wisse die Mannschaft, dass sie auch in der Lage sei, Top-Gegner zu schlagen, meint Zorc. 
Kein Zweifel, Hin- und Rückspiel haben der Mannschaft richtig gutgetan, auch mental. Das Viertelfinale zu erreichen, war unser großes Ziel. 

Wie belohnst du dich nach einem großen Spiel? Vorschriftsmäßig in einer englischen Woche mit einem Protein-Shake – oder doch mit einem Bier?
Die Stimmung nach so einem Erfolg ist anders als sonst. Die Musik ist lauter, die Jungs sind aufgekratzt, und es gibt auch mal ein Bier. Zuhause klingt diese Euphorie dann schnell wieder ab. Schlafen kann ich nach einem Abendspiel nicht. 

Nach fünf Meisterschaften und vier Pokalsiegen in Dänemark: Wie groß ist dein Hunger auf den ersten Titel mit dem BVB?
Sehr, sehr groß. Für einen Dänen bedeutet es natürlich eine Menge, in seinem eigenen Land so viel zu gewinnen, aber international hat das weniger Bedeutung. In Deutschland einen Titel zu erobern, wäre etwas Besonderes. Ich hoffe, das schaffe ich so schnell wie möglich.

Du musstest in deinen bisher knapp drei BVB-Jahren ein ziemliches Wellental durchschreiten. In der ersten Saison gesetzt, in der zweiten viel verletzt, zu Beginn der dritten oft nur Ersatz. Enttäuschung, Zweifel – was macht das mit dir? 
Ich vergesse schnell. Verletzungen, Corona – das lasse ich rasch hinter mir. Vor einem Jahr hatte ich mein erstes Training nach langer Pause vor dem Schalke-Spiel. Ich sollte wieder im Kader stehen, doch dann folgten zehn Wochen Pause. Das war ein großer Schlag für mich: Ich hatte hart gearbeitet, wäre endlich wieder dabei gewesen, und dann kam Corona, und ich musste noch zweieinhalb Monate warten. Das war eine schwere Zeit, auch nicht meine beste, aber ich hadere nicht und, wie gesagt, ich vergesse schnell.  

Spürst du, dass du jetzt ein viel höheres Standing als noch vor ein paar Monaten besitzt?
Eigentlich nicht. Ich bin ja nicht für 20 Saisontore gekauft worden. Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke wussten 2018 schon, wen sie da aus Bremen holen. Ich fühle mich hier wertgeschätzt. Nach den enttäuschenden Ergebnissen im Herbst war deutlich, dass wir uns verbessern mussten, die Mentalität – und einiges mehr. Dabei konnte ich mich gut einbringen. 

Was deine eigene Torquote angeht: In deinem ersten BVB-Jahr wurden dir immerhin neun Torbeteiligungen (drei Tore, sechs Assists) gutgeschrieben. Seit Mai 2019 warst du aber nur an zwei weiteren Bundesliga-Treffern beteiligt. Erlaubt dir der Trainer keine Ausflüge in den Strafraum des Gegners mehr? 
Mein Hauptjob ist verteidigen, nicht angreifen, absichern, vor der Viererkette bleiben. Entsprechend selten komme ich in die Box des Gegners. Wieder mehr Tore zu machen, so wie früher in Bremen, wo ich die Freiheit hatte, nach vorne zu laufen, wäre natürlich geil. Doch wichtig für mich selber ist: Was erwartet man von mir? Und meine Aufgabe ist nun einmal eine andere, als Scorerpunkte zu sammeln.

Was nur wenige auf dem Schirm haben: Delaney kann auch Knipser. In seiner Karriere schnürte er sogar zweimal einen Dreierpack, beide im Jahr 2017: bei Bremens 5:2 in Freiburg und bei Dänemarks 4:1 in Armenien. Seitdem Gio Reyna das weiß, muss er das Bild von seinem Teamkollegen revidieren. Als Delaney dem US-Boy neulich von seinen (seltenen) Heldentaten als Torjäger erzählte, soll Reyna ziemlich überrascht gewesen sein. Seine Augen leuchteten. So wie bei den Menschen in New York, wenn alljährlich in der Adventszeit vor dem Rockefeller Center der 25 Meter hohe Weihnachtsbaum mit seinen 45.000 LED-Birnen strahlt. 

Reyna kennt Delaney besser als einen großen Kämpfer vor dem Herrn. Wenn man sich das Mittelfeld der Borussia als Maschinenraum vorstellt, dann trägt Delaney darin einen ölverschmierten Overall. Seine Domäne: als Tatortreiniger hinter Jadon Sancho, Marco Reus oder Erling Haaland schnörkellose Zweikämpfe führen, das Zentrum schließen. Von Delaney erhofft sich sein Trainer, dass er die Glut austritt, bevor es vor dem eigenen Tor brennt. „Erst müssen im Fußball die langweiligen Dinge erledigt werden, dann kommt der Spaß“, sagt der Däne. Nie werden irgendwelche Fußballlehrer von ihm erwarten, dass er seinen Gegnern einen Knoten in Köpfe und Beine zwirbelt – oder wie Jadon Sancho kreative Momente erschafft, die ins Museum gehören. Delaney verkörpert eine unbändige Lust aufs Kämpfen; vor dem Tor des Gegners Angst und Schrecken zu verbreiten, ist kein primäres Qualitätsmerkmal dieses Profis. 

Im zentralen Mittelfeld bewerben sich Jude Bellingham, Mo Dahoud, Gio Reyna, Julian Brandt, Emre Can, demnächst wieder Axel Witsel und du um die Plätze. Wie wirkt sich diese hohe Qualitätsdichte aufs Betriebsklima aus? 
Natürlich möchte ich am liebsten auch dann spielen, wenn ich vorher zweimal richtig schlecht war. Für die Mannschaft und für den Verein ist aber ganz gut, wenn in einem Mannschaftsteil so ein Gedränge herrscht. Mit dieser Konkurrenz und diesem Druck muss man als Profi umgehen können. 

Jude Bellingham ist erst 17 und sagt von sich: „Ich bin kein Lehrling mehr.“ Hat er wirklich bereits ausgelernt?
Jude ist für sein Alter schon ziemlich gut, er spielt, als sei er schon viel länger in dieser Rolle unterwegs. Seine Mentalität gefällt mir. Wenn er noch ein Lehrling wäre, würde er nicht diese Spielanteile bekommen. Trotzdem hat er noch etwas zu lernen, wie alle anderen. 

Nimmt er sich Ratschläge von dir an? 
Ich versuche ihm zu helfen. Es gab schon Spiele mit mir, mit Gio Reyna, der nur ein Jahr älter ist, und Jude. Wenn die beiden dann einfach drauflos spielen, ohne allzu viel darüber nachzudenken, musste ich auch mal etwas lauter werden (lacht). Mir ist es dann wichtig, sie zu unterstützen, ihnen Tipps zu geben und nicht, ihnen Befehle zu erteilen. 

Seit Februar bist Du Vater einer Tochter. Kriegst du nachts manchmal schon mehr als ein Auge zu? 
Das ist schon okay. Ich bekomme meinen Schlaf. 

Und wenn du am Tag vor einem Spiel im Hotel übernachten kannst – ist das dann ein bisschen wie Urlaub? 
Ja, aber das darf ich meiner Frau nicht sagen (lacht). 
Autor: Thomas Hennecke
Fotos: Alexandre Simoes 

 

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