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Die Arbeit am Detail: Das Toptalente-Trainer-Team im Portrait

„Wir wollen aus jedem den besten Spieler machen, der er sein kann. Das ist unser Anspruch.“ Sagt Lars Ricken, Direktor des Nachwuchsleistungszentrums. Daher werden die begabtesten Jugendspieler besonders gefördert. Seit dieser Saison wird Toptalente-Trainer Otto Addo deshalb von Daniel Rios und Eren Yilmaz unterstützt. Im Team bewerten die drei nicht nur aktuelle Leistungsauffälligkeiten, sondern vor allem Potenziale.

Pharell Nnamdi Collins hört aufmerksam zu, ist offen für das, was Eren Yilmaz ihm erklärt; und macht den so wichtigen ersten Ballkontakt dann noch einmal. Der 19-Jährige ist Nationalspieler, gilt als Toptalent – und trotzdem, oder gerade deshalb, ist er noch lange nicht fertig. Am Toptalente-Training schätzt er die individuelle, die genaue Arbeit an Schwächen und Stärken in einer kleinen Gruppe aus sehr guten Spielern. „Es geht um die Arbeit am Detail, um Feinheiten, um die letzten Prozentpunkte“, sagt er.

Collins, der Jugendspieler mit Profivertrag, befindet sich genau an der Stelle, die mitunter heikel ist; am Übergang von Jugend zu Senioren, wo aus Jungs Männer werden. Hier hat das Rad der Verzahnung heute viel mehr viel kleinere Zähne als noch vor zehn Jahren. Auch deshalb war die Erweiterung des Toptalente-Trainerteams im Sommer 2022 angezeigt. Bewusst haben die Entscheidungsträger zwei Trainer aus den eigenen Reihen berufen. Sie vereinen gleichfalls fundierte Kenntnis über Stärken und Schwächen der Spieler sowie Lust und Ehrgeiz, sich auch selbst als Trainer weiterzuentwickeln. Ein Erfolgsmodell, das seit Jahren schon bei Borussia Dortmund ausgebildete Spieler und Trainer für ganz Deutschland und Europa interessant macht.

Daniel Rios hat selbst für U19 und U23 gespielt. Zudem kennt er Otto Addo seit seiner Ankunft im Verein 1998, beide verbindet eine enge Freundschaft. Im nunmehr achten Jahr ist Rios neben seiner Tätigkeit als Toptalente-Trainer Co-Trainer der U19. Eren Yilmaz, ausgebildeter Fußball-Lehrer, war jahrelang Assistent von Sebastian Geppert in der U17 und zwischenzeitlich, als Geppert als Co von Edin Terzic zu den Profis aufrückte, auch deren Cheftrainer. Heute konzentriert er sich allein auf die Tätigkeit als Toptalente-Trainer.

Otto Addo wiederum vereint die Einflüsse verschiedener Trainer mit der Expertise aus diversen Tätigkeiten mit der Erfahrung aus drei WM- Turnieren in drei unterschiedlichen Funktionen. Er selbst war und ist U-Trainer, Toptalente-Trainer, Co-Trainer; seit 2019 in Dortmund, zuvor in Mönchengladbach. Hinzu kommen die Weltmeisterschaften, die er als Spieler (2006), als Scout für den ghanaischen Verband (2014) und zuletzt als Cheftrainer der Black Stars (2022) bestritten hat. Durch den Fußball hat er die Welt gesehen – das Tor dazu möchte er heute Borussias Toptalenten öffnen.

Otto, was ist deine Motivation, Toptalente-Trainer bei Borussia Dortmund zu sein?

Meine Motivation? Wow, die Frage hatte ich noch nicht. – Kurz gesagt: Es geht immer darum, wie man Erfolg definiert. Für mich ist es ein Erfolg, wenn ich einen Spieler mitgeformt habe und da- mit einen Teil dazu beigetragen habe, dass er als Mensch gereift und als Sportler weitergekommen ist. Bestenfalls hat er also etwas gelernt. Wenn ich heute mit Spielern aus meiner U19 vom Hamburger SV spreche und sie oder ihre Eltern mir noch immer dankbar sind, dann ist das der größte Antrieb, den ich haben kann. Wenn es dann der eine oder andere noch zu den Profis schafft – nicht nur, aber auch wegen mir – dann umso besser. 

Heißt: Du selbst bist auch dann glücklich, wenn es vielleicht nicht nach ganz oben gereicht hat, sich ein junger Mensch aber in der und durch die gemeinsame Zeit mit dir weiterentwickelt hat?

Ja, absolut. Der Fokus allerdings ist ganz klar, die Jungs hier durchzubringen. Es kann doch für keinen Verein etwas Besseres geben, als Spieler in der Profi-Mannschaft zu haben, die im Verein ausgebildet wurden und bestenfalls noch in der Stadt aufgewachsen sind. Denn dann ist die Identifikation beidseitig da; vom Spieler zum Verein, und von den Fans zum Spieler. Zusätzlich entstehen Marktwerte, auch das gehört zur Wahrheit. Unterm Strich ist es eine Win-Win-Situation für alle; für den Spieler, seine Eltern, für den Verein; wie bei einem Tom Rothe oder einem Youssoufa Moukoko oder einem Gio Reyna. Etwas Schöneres kann es nicht geben. Deshalb versuchen wir es unter Beteiligung von vielen immer wieder; allein, es kann nicht immer gelingen.

Im Grundsatz unternehmen Addo, Rios und Yilmaz den anspruchsvollen Versuch, einen Spieler in Gänze zu erfassen, um ihn dann wiederum ganz gezielt genau um die Prozentpunkte zu verbessern, die letztlich ein Toptalent von einem Talent unterscheiden. Dabei geht es um Nuancen – was die Sache verkompliziert. Konkrete Ansätze sind sehr unterschiedlich, sie können im technischen Bereich liegen, genauso im taktischen, im Alter wie in der Position. „Der Erwartungshaltung aller gerecht zu werden, ist eine Herausforderung. Bei allem Talent ist nicht jeder sofort bereit dazu“, erklärt Eren Yilmaz.

Ein Beispiel: Wenn ein Toptalent im letzten Jahr noch mit der U19 Deutscher Meister war, heute in der U23 aber wenig oder gar nicht spielt, dann ist das für den Spieler vor allem: ungewohnt. Addo, Rios und Yilmaz begegnen ihm mit Erfahrung, Ruhe, Geduld. „Unser Vorteil ist, dass wir nicht darüber entscheiden, ob er im nächsten Spiel spielt. Dadurch haben wir einen anderen Zugang; nicht nur zu dem Spieler, sondern auch zum Menschen“, sagt Yilmaz.

Otto Addo hat für diesen Zugang ursprünglich ein Vier-Säulen-Konzept entwickelt. Es besteht aus: Videoanalyse, positionsspezifischem Training, regelmäßigen Meetings, Dokumentation; und das jeweils mit Fokus auf den einzelnen Spieler.

Das Schwierige ist, Leistungsfähigkeit nicht mit Potenzial zu verwechseln

In der Videoanalyse zu Wochenbeginn werden die prägnantesten Szenen aus dem vergangenen Spiel seziert. Beim positionsspezifischen Training geht es mal nicht um Mannschaft und Teamgefüge, sondern um die beste Entscheidung des Einzelnen. Es geht um Timing, Räume, die sich erst noch ergeben, und bestmögliche Lösungen auch unter hohem Handlungsdruck. In regelmäßigen Meetings spielen zudem private Aspekte eine wichtige Rolle. „Auch mal zuhören und erfahren, was bei dem Spieler zuhause los ist“, erklärt Addo. Mitunter trifft er sich auch außerhalb des Trainingszentrums. Er möchte Vertrauen aufbauen und dem Spieler klarmachen, dass es bei allem, was getan und gesagt wird, immer einzig und allein darum geht, ihn zu verbessern. Zuletzt will all dies dokumentiert werden, um die Entwicklung des Spielers auch nachvollziehen zu können.

Der Aufwand ist hoch, zumal die Konkurrenz um die Toptalente nicht mehr in Gelsenkirchen und Bochum sitzt, sondern in Manchester, Paris und Madrid. Nicht umsonst hat der BVB etwa Jamie Bynoe-Gittens mit gerade einmal 16 Jahren von Manchester City nach Dortmund gelotst. Der Er- trag ist aber im besten Fall auch groß: In Moukoko und Reina sowie Mario Götze, Jonas Hofmann, Antonio Rüdiger und Christian Pulisic haben sechs bei Borussia Dortmund ausgebildete Profis bei der WM 2022 gespielt.

 

Otto, weil wir gerade bei der Breite des Themas sind: Du hast den ursprünglichen vier Säulen eine fünfte hinzugefügt. Warum?

Eine Sache habe ich zwar die ganzen Jahre über schon gemacht, sie aber nie explizit benannt: die Organisation bzw. das Management eines je- den Spielers. Für alle Beteiligten ist wichtig, wer wann und wo in der Woche trainiert hat. Daraus ergeben sich Trainings- und Belastungssteuerung und letztlich auch etwaige Einsätze am Wochenende. 

Also musst du permanent mit allen Beteiligten im Austausch sein, bis hin zu Cheftrainer Edin Terzic.  

Richtig. Ein Spiel ist das beste Training – also muss ich ein Auge darauf haben, dass die Jungs auch Spielpraxis bekommen; gerade die jungen Spieler, deren Schritt hin zu den Senioren der größte ist. Dafür muss ich das Gesamtkonstrukt im Blick haben und entsprechend immer alle informieren, die Trainer genauso wie den Zeug- wart. Denn am Ende ist allein die Anwesenheit eines Spielers für den Trainer nichts wert, so- lange nicht auch sein Trikot da ist. Deshalb arbeiten inzwischen alle Trainer vom Chef- über die Co-, Athletik- und Reha-Trainer bis hin zu den U-Trainern mit einem elektronischen System. Das hält die komplexe Erfassung aller Ein- drücke zumindest händelbar. 

„Wir haben so viele Top-Talente, weil unsere Scouting-Abteilung die richtigen Spieler schon in ihren jungen Jahren findet. Weil wir in der Anwerbung der Spieler unsere Philosophie, unsere Strategie und unsere Ideen glaubwürdig und ehrlich an die Spieler, Eltern und auch Berater kommunizieren und somit die Jungs für den BVB begeistern. Weil wir ein bemerkenswertes pädagogisches Konzept auch für die schulische Ausbildung der Spieler haben, wofür wir viel Geld, Personal und Gedanken investieren. Weil die Trainer, Co-Trainer, Athletik- und Reha-Trainer, Video-Analysten, Psychologen und Physiotherapeuten täglich viele Stunden in die Ausbildung und Weiterentwicklung der Spieler aufbringen.“
Lars Ricken,
Direktor Nachwuchsleistungszentrum

 

Eren Yilmaz ist hier ein Knotenpunkt. „Alles, was mit Dokumentation und Organisation zu tun hat, geht über meinen Schreibtisch.“ Da er keine weitere Mannschaft betreut, ist er zeitlich flexibel, kann angemessen lange auf Details eingehen. Daniel Rios wiederum hat einen guten Überblick. „Als Co-Trainer der U19 sehe ich die Spieler dort tagtäglich. Und den Jungs aus der U17 kann ich frühzeitig berichten, was als nächstes auf sie zukommt.“ 

Otto, es ist deutlich geworden, warum die Erweiterung des Toptalente-Trainerteams aus optimale-Trainersicht notwendig war. Warum war sie auch mit Blick auf die Toptalente alternativlos?

Weil wir bei Borussia Dortmund sehr viele davon haben. Um allen gerecht werden zu können, gab es die Notwendigkeit, aufzustocken. Das haben wir im vergangenen Sommer getan. Daniel und Eren arbeiten mit mir Hand in Hand. Das freut mich sehr. Denn wir können viele Felder bespielen.

Welches Feld ist dir aktuelle besonders wichtig?

Wir wollen jedem Toptalent Feedback geben; also mussten wir eine Feedbackkultur schaffen, in der sich jeder Spieler frei äußern kann. Das haben wir getan. Jeder Spieler muss die Möglichkeit haben, sich für eine bestimmte Aktion oder Bewegung erklären zu können. Und wir Trainer müssen auch mal zuhören können. Die Besten – wie Jude Bellingham oder Gio Reyna – wissen selbst, was sie in der Situation anders hätten machen müssen. Bei allen anderen, die mitunter wirklich dicht beieinander liegen, müssen wir vermehrt Hinweise geben und auch die richtigen Fragen stellen. Ziel ist es, dass sie die Situation auf dem Platz beim nächsten Mal besser lösen können.

Damit kommen wir zur Tiefe des Themas: Wenn es um Kleinigkeiten geht, dann ist deine und eure Verantwortung recht groß. Du entscheidest – zusammen mit anderen – wer den nächsten Schritt in welche Richtung macht. Ist das etwas, was nur ein Job ist, oder nimmst. du Gedanken daran auch mit nach Hause?

Am Ende entscheiden die jeweiligen Trainer – aber natürlich gebe ich meine Empfehlung ab. Letztlich bin ich auch der Einzige, der alle Spiele von jedem Spieler gesehen hat. Das Schwierige ist, Leistungsauffälligkeiten nicht zu verwechseln mit Potenzial. Aus Sicht der Fans kann einer vielleicht richtig gut spielen – für uns aber geht es darum, heute sein Potenzial von morgen und übermorgen zu erkennen. Kann der Spieler die Fähigkeiten, die er in der Jugend zeigt, perspektivisch auch auf einem höheren Niveau abrufen? Bei Potenzial geht es mehr um richtige Entscheidungen in engen Spielsituationen als um die Frage, ob der Ball bei dem konkreten Pass jetzt ankommt oder nicht. 

Es geht um Entscheidungskompetenz und Spielintelligenz 

Ich muss gerade unweigerlich an Julian Brandt denken. Da ging lande Zeit schon mal ein Raunen durchs Publikum, wenn ein Pass nicht ankam. Dabei kommt es wohl eher darauf an, dass dieser geniale Spieler den riskanten Pass überhaupt spielt – denn wenn der dann ankommt, wie in dieser Saison, entscheidet er Situationen und Spiele.

Es geht darum, dass ein Spieler die richtige Entscheidung trifft. Egal, ob der Ball ankommt: Der Junge hat eine Idee. In den höheren Kategorien der Bundesliga ist das der Unterschied zwischen den guten und den sehr guten Spielern. Wer trifft welche Entscheidung? Wer sieht welche Räume? Wer öffnet sie? Wer schließt sie? Wer antizipiert die nächste Situation am besten? Bei den Profis erwarten wir schon, dass die Aktion in der Regel gelingt. Im Übergangsbereich, in dem ich mich bewege, geht es mehr um Entscheidungskompetenz und Spielintelligenz. Er- kenne ich Situationen frühzeitig und kann sie lösen? Natürlich sind auch Bereitschaft und Wille weiterhin Kriterien; am besten der Wille zur Selbstverbesserung aus Eigenantrieb. Fehler erkennen, Kritik annehmen – auch das sind Talente.

Otto, bleibt zum Abschluss nur noch eine Frage: Was unterscheidet jetzt eigentlich ein Talent von einem Toptalent?

Talente sind alle, die hier sind – sonst wären sie nicht bei Borussia Dortmund. Und die Toptalente sind diejenigen, die nach unserer Einschätzung am ehesten den Sprung zu den Profis schaffen können. Das alles ist aber dynamisch und kann sich innerhalb eines halben Jahres auch ändern. Die Entwicklungsphasen sind sehr unterschiedlich: Da kriegt einer plötzlich einen Schub, wird größer, wird kräftiger und kann Dinge, die vorher nicht gingen. Das Leben der Toptalente ist wie der Fußball selbst: schnelllebig.

Deshalb ist Lars Ricken eine Feststellung besonders wichtig: „Wenn es die Jungs nicht zu den Profis schaffen, dann sind sie nicht gescheitert“, sagt der Direktor des Nachwuchsleistungszentrums. „Jeder nimmt unendlich viel mit aus dieser Zeit. Wenn zum Beispiel bei unserer U10 ein Tor fällt, dann sehe ich eine Traube von Jungs mit unterschiedlichen Migrationshintergründen, unterschiedlichen Religionen und unterschiedlichen Hautfarben. Was da vermittelt wird an Toleranz, Respekt, aber auch Widerstandsfähigkeit, hilft später überall im Leben.“

128 aktive Profis kommen aus dem BVB-Nachwuchs

Autor: Nils Hotze
Fotograf: Marco Donato

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag. 

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