Jennifer Gutiérrez läuft mit schnellen Schritten die paar Meter durch den Sprühregen vom Parkplatz zum Mediengebäude. Sie lächelt gequält. Regen. Mal wieder. Was soll’s? Hier, am Trainingsgelände von Borussia Dortmund im Stadtteil Brackel, ist sie verabredet zum Doppelinterview mit Mateu Morey. Zwei Spanier beim BVB. Und was sagt Mateu, als er nur eine Minute später dazukommt? „¡Qué frío hoy!“ Übersetzt: „Ist das kalt heute!“ Ja, der deutsche Winter wird in der kommenden halben Stunde, die sich beide für das Gespräch in ihrer Landessprache freigeschaufelt haben, noch eine Rolle spielen.

Das ist nicht nur euer erstes gemeinsames Interview. Ihr habt euch auch noch nie getroffen, stimmt’s?

Mateu: „Ja. Ich wusste gar nicht, dass eine Spanierin beim BVB spielt. Es ist immer schön, Landsleute in der näheren Umgebung zu haben. Und wenn das dann auch noch bei der Borussia ist, umso besser!“ Jennifer: „Ich habe mich echt gefreut zu hören, dass ein Spanier bei den Fußballprofis vom BVB ist. Ich bin also nicht die Einzige aus Spanien in Schwarzgelb.“

Jenni, du bist in der Schweiz geboren. Als du sechs Jahre alt warst, ist eure Familie zurück nach Spanien gezogen. Hast du aus den wenigen Jahren in der Schweiz noch Wörter behalten, die dir jetzt in Deutschland helfen?

Jennifer: „Ich glaube, dass die Erfahrung mir heute hilft, mich schneller in der deutschen Sprache zurecht zu finden. Meine Eltern sind damals aus beruflichen Gründen in die Schweiz gezogen. Ich kann mich zwar heute kaum noch an die Wörter erinnern, die ich damals aufgeschnappt habe. Aber die deutsche Sprache klingt nicht so fremd für mich. Das hilft mir jetzt.“

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Die 25-Jährige, die mit vollem Namen Jennifer María Gutiérrez Bermejo heißt, kam im Sommer 2020 als Vize-Weltmeisterin und MVP zum BVB – also als wertvollste Spielerin der spanischen 1. Liga. Sie spielt Linksaußen und hinterlässt auf dem Platz nicht den Eindruck, als sei ihr die Eingewöhnung in das neue Team, die neue Umgebung und die neue Liga schwer gefallen.

Sind denn im Training alle Anweisungen auf Deutsch? Und verstehst du dann auch alles?

Jennifer: „Ja, im Training wird fast nur Deutsch gesprochen. Der Trainer macht alle Anweisungen auf Deutsch. Ich habe ganz schnell alle notwendigen Begriffe gekannt und konnte mich dann auch rasch in die Gruppe integrieren.“

Könntest du aber auch schon – sagen wir mal – beim Bäcker die Brötchen auf Deutsch bestellen?

Jennifer: „Na, klar! Solche Sachen, etwa einen Kaffee zu bestellen, habe ich als erstes gelernt. Alles für das tägliche Leben eben.“

Du hast in deinem Team acht Mitspielerinnen aus den Niederlanden. Wird in der Kabine eher Holländisch gesprochen als Deutsch?

Jennifer: „Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass beide Länder aneinander grenzen, aber die sprechen alle super Deutsch. Manchmal sprechen sie vielleicht untereinander Holländisch. Aber die meiste Zeit sprechen wir Deutsch oder Englisch, damit alle eine Chance haben, an der Unterhaltung teilzunehmen.“

"Wir vermissen die Sonne schon sehr!"

Für euch beide ist der BVB die erste Auslandsstation. Wenn ihr mit Freunden oder Verwandten über das Leben hier – das Essen, die Menschen oder die Stadt Dortmund – sprecht, was erzählt ihr denen dann?

Mateu: „Ich kann über meine Mitspieler und die Menschen hier allgemein nur Gutes sagen. Ich bin jetzt anderthalb Jahre hier und kann mich wirklich nicht beschweren. Wobei: Das Wetter stört mich schon. Es ist ziemlich kalt hier. Mich an dieses Wetter zu gewöhnen, ist eine echte Herausforderung.“

Jenni, du schmunzelst schon…

Jennifer: „Ich sehe das ähnlich. Die Stadt gefällt mir, sie bietet mir alles, was ich brauche. Ich bin wirklich zufrieden mit dem Umfeld, unserem Team, mit dem Verein. Wenn es etwas gibt, das ich vermisse, dann ist es wohl, regelmäßig mit jemandem bei einer Tasse Kaffee Spanisch sprechen zu können. Und zuletzt ist das Wetter schon ein Thema. Er kommt aus Mallorca, ich aus Andalusien. Wir vermissen die Sonne schon sehr.“ 

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Verständlich. Was hat euch denn am meisten überrascht am täglichen Leben hier?

Mateu: „Ich glaube, das ist die Pünktlichkeit. Die Deutschen teilen sich die Dinge über den Tag verteilt gut ein. Und es herrscht großer gegenseitiger Respekt. Das ist etwas, das ich gerne für mich mitnehmen möchte.“

Jennifer: „Ja, dieses Korrektsein der Deutschen in allen gesellschaftlichen Aspekten, dass alles seine Normen hat, die befolgt werden, das kann man schon bewundern. Und da könnten auch andere Länder von lernen oder sich etwas abschauen.“

Mateu: „Ja, wir Spanier können da noch etwas dazulernen.“

Bei der letzten Antwort von Mateu schmunzeln beide. Überhaupt herrscht eine gelöste Stimmung bei dem Gespräch. Es wird viel gelächelt und gelacht. Obwohl das Drumherum wenig Anlass zur Lockerheit gibt. Jennifer und Mateu müssen einen Sicherheitsabstand voneinander, vom Redakteur und Kameramann einhalten. Seit Monaten ist auch der Sport, den sie kennen, für den sie leben, nicht mehr derselbe: Die Fans fehlen. Der Lärm. Die Unterstützung. Die Wärme. Der Kontakt. Trotzdem verlieren die beiden ihre gute Laune nicht. Vielleicht können „wir“ von ihnen ja auch etwas lernen...

Mateu, du kamst von der Mittelmeerküste aus Barcelona ins Ruhrgebiet nach Dortmund und konntest damals kaum ein Wort Deutsch. Wie groß war der Kulturschock?

Mateu: „Ich muss schon sagen, das hat sich damals alles etwas seltsam angefühlt. Ich kam hier an und habe nichts verstanden. Mein Glück war, dass es damals einige Mitspieler gab, die Spanisch sprachen: Sergio (Gómez), Leo (Balerdi), Achraf (Hakimi) und Paco (Alcácer). Außerdem sprechen Axel (Witsel) und Mats (Hummels) etwas Spanisch. Durch sie wurde alles deutlich einfacher. Ich habe dann mit Deutschunterricht begonnen. Heute kann ich schon ziemlich viel verstehen und spreche auch ein bisschen Deutsch.“

"Frohes Neues!" auf Spanisch

Anderes Thema. Habt ihr eigentlich an Silvester eure zwölf Weintrauben gegessen?

Mateu: „Auf jeden Fall. Es geht nicht ohne. Jedes Jahr.“

Jennifer: „Natürlich.“

Diese spanische Tradition kennt kaum jemand in Deutschland. Wir begrüßen das neue Jahr in der Regel mit einem Feuerwerk und Böllern. Ihr macht das ganz anders. Quasi ganz Spanien sitzt um 0 Uhr vor dem Fernseher und schaut sich eine Live-Übertragung vom Platz Puerta del Sol aus Madrid an. Erklärt uns doch mal, warum das so ist.

Mateu: „In diesem Jahr war wegen Corona alles etwas anders. Aber normalerweise ist der ganze Platz voller Menschen, die ins neue Jahr feiern. Beinahe jeder spanische Fernsehsender ist live drauf: für die zwölf Glockenschläge der Uhr auf dem Platz.“

Und das ganze Land macht mit und isst pro Glockenschlag eine Weintraube, oder?

Jennifer: „Ja, ich glaube, wirklich jede Spanierin und jeder Spanier macht mit. Ich habe keine Ahnung wie lange es diese Tradition schon gibt. Aber ich mache das schon mein ganzes Leben lang – jedes Jahr, immer in der Silvesternacht. Du isst zwölf Weintrauben und wünscht dir etwas für die kommenden zwölf Monate.“

Für jede Weintraube darf man sich etwas wünschen. Hat jemand von euch beiden sich gewünscht, gesund und verletzungsfrei zu bleiben?

Mateu: „Ja. In diesen Zeiten, die wir gerade erleben, sind Gesundheit für deine Liebsten und dich selbst das Erste, an das du denkst. Und natürlich ein erfolgreiches sportliches Jahr mit dem BVB.“

Und wer hat sich ganz konkret einen Titel gewünscht?

Jennifer: „Natürlich habe ich das. Wir wollen die Bundesliga gewinnen! Und danach kämen dann wieder tolle Spiele in Europa.“

Mateu: „Ich denke, wir starten bei Borussia Dortmund jede Saison in der Hoffnung, einen Titel zu holen. Und wir werden in diesem Jahr wieder alles dafür tun, dass das klappt."

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Die beiden verbindet nicht nur ihre Nationalität und ihre Muttersprache. Sie spielen in ihrer jeweiligen Sportart auf Außenpositionen: Jennifer auf der linken Seite des Spielfeldes, Mateu bearbeitet die rechte Seite auf dem Fußballplatz.

Welche Tugenden braucht man, um auf Top-Niveau in euren Sportarten auf eurer Position spielen zu können?

Mateu: „Natürlich musst du schnell sein. Du musst gut am Ball sein und musst immer auf der Höhe des Spielgeschehens bleiben. Deine Pässe und Flanken müssen sitzen. Denn du bist auch da, um deine Mitspieler in Szene zu setzen.“

Jennifer: „Das gilt zum Großteil auch für meine Position im Handball. Geschwindigkeit ist ein ganz wichtiges Thema. Und Abschlussstärke. Gerade da, wo ich mich bewege. Ich bin bei Tempogegenstößen gefordert, aber auch in der Abwehr.“

Wie wichtig ist euch, dass ihr euren Sport auch genießen könnt?

Mateu: „Super wichtig! Wenn du es genießen kannst, dann gelingen dir die Dinge auch. Und das hilft dann ja auch der Mannschaft. Ich glaube, die Dinge zu genießen, ist im Leben die Basis für alles, was wir tun.“

Jennifer: „Stimmt total. Wir leben getrennt von unseren Familien und haben so viele Dinge zurückgelassen, weil wir letztlich das genießen, was wir machen. Sollten wir das irgendwann nicht mehr tun, dann bin ich mir sicher, werden wir auch einen neuen Lebensweg einschlagen. Ganz klar.“

Von Mallorca und aus Andalusien - in den Pott

Auf ganz unterschiedlichen Lebenswegen hat es beide nach Dortmund verschlagen. Mateu Jaume Morey Bauza darf sich nach einigen verletzungsbedingten Rückschläge nun als fester Teil des Spieltagskaders der BVB-Profis begreifen. Der 20-Jährige kommt in dieser Saison wettbewerbsübergreifend auf neun Einsätze und 481 Minuten auf dem Platz (Stand: 22.1.). Zum Vergleich: In der gesamten Saison davor kam er bei den Profis auf nur 195 Minuten Spielzeit.

Jenni hat in neun Spielen in der Handball-Bundesliga für den BVB 32 Mal getroffen. Mateu, kann es sein, dass sie mehr Torgefahr ausstrahlt als du? (beide lachen)

Mateu: „Oh ja. Sieht ganz so aus. Ich hab‘ erst einmal getroffen. Das war bei meinem Debüt für den BVB, in einem Testspiel. (Gegen Schweinsberg im Juli 2019, Anm. d. Redaktion) Und deshalb bin ich mir sicher, dass sie torgefährlicher ist als ich.“

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Zum Schluss müssen wir noch einmal über euer Lieblingsthema sprechen: das Wetter. Auf Mallorca ist es, laut Wetterbericht, heute leicht bewölkt bei zehn Grad. In Andalusien, wo Jenni herkommt, sind es sogar 14 Grad. Gut, das Wetter draußen kennt ihr ja. Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr morgens aus dem Haus geht? (beide lachen)

Mateu: „Da verliere ich komplett meine gute Laune. Nein, im Ernst: Wenn mal gutes Wetter ist, dann freust du dich total darüber. Es ist so ungewohnt, dass hier die Sonne scheint. Die Tage sind oft grau. Aber wir behalten unsere gute Laune trotzdem.“

Jennifer: „Es stimmt, was er sagt. Wenn du merkst, dass es ein weitererbewölkter Regentag ist, kannst du vielleicht Musik anmachen, und dann nimmst du es gelassen hin. Und es ist ja nicht so, als ob hier nie die Sonne scheinen würde. Ich war ja auch im Sommer bereits hier. Und da schien die Sonne, und es war heiß. Das hilft.“

Auf jeden Fall helfen beide dem BVB. Durch ihr Können. Aber auch durch ihr Auftreten und ihr herzliches Naturell. Spätestens im Sommer, wenn die Sonne wieder über Dortmund brennt, werden Jennifer und Mateu wissen, ob sich ihre Weintrauben-Wünsche aus der Silvesternacht erfüllt haben. Viel Glück, ihr beiden: „¡Mucha suerte!“

BVB-TV by 1&1: Zwei Spanier beim BVB