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Dortmund – Metz – Dortmund? Alina Grijseels im Portrait

Wehmut und Demut begleiten sie, aber auch Vorfreude und Neugierde. Die Koffer sind gepackt. Am ersten Juli-Wochenende wird Alina Grijseels umziehen nach Metz, weiterziehen zu einer der Topadressen im europäischen Handball. Der Schritt ist unserer Kapitänin nicht leichtgefallen nach 09 Jahren bei Borussia Dortmund, aber er ist wohl notwendig zur Erfüllung eines Traumes.

In Metz hat die 27-Jährige auf dem Zenit ihrer sportlichen Schaffenskraft eine realistische Chance, die Champions League zu gewinnen. Keinesfalls unrealistisch ist danach eine Rückkehr nach Dortmund – und zum BVB.

Es geht nach oben. Nach ganz oben. In der Karriere von Alina Grijseels, Deutschlands Handballerin der Jahre 2021 und 2022. Und an diesem Morgen im Aufzug des Dortmunder U. Halten wird dieser erst auf der Dachterrasse der alten Union Brauerei. Der heutige Brauturm, das ehemalige VIEW, bietet gute Perspektiven für Rück- und Ausblick. Hier oben steht das bisherige Aushängeschild unserer Handballerinnen vor dem Wahrzeichen der Stadt.

Die Sonne hat den morgendlichen Hochnebel inzwischen verdrängt. Über der Stadt liegt dieses besondere Gemisch aus Vorfreude und Anspannung, aus Glücksgefühl und innerer Unruhe. Es knistert, es kribbelt. Elf Jahre lang war es nicht so stark spürbar, beinahe mit Händen greifbar. Es ist der Morgen, nachdem die Fußballer durch das 3:0 in Augsburg auch ganz nach oben geklettert sind, auf den Platz an der Sonne in der Bundesliga. Es ist der Morgen, an dem Dortmund im festen Glauben an die 09. Deutsche Fußballmeisterschaft aufgewacht ist. Die Perspektiven also sind rosig: für die Fußballer - und für Handballerin Alina Griseels. Sie wechselt nach 09 Jahren bei Borussia Dortmund zum französischen Serienmeister und europäischen Schwergewicht Metz Handball. Am ersten Juli-Wochenende wird sie im Auto nach Frankreich fahren. Wehmut und Demut begleiten sie, aber auch Vorfreude und Neugierde.

„Ich werde den Verein und die Menschen, die für ihn arbeiten, vermissen. Es sind Freundschaften entstanden, die bleiben", sagt Grijseels. Dazu kommen der Zusammenhalt und die Stadt, in der sie nach anfänglicher Findungsphase gerne gelebt hat. „Da werden viele Tränen fließen. Bei aller Vorfreude ist Veränderung immer auch etwas Trauriges. Ich werde sehr traurig sein." Und mutig. Denn eigentlich ist Alina Grijseels nicht der Typ, der sich mit Veränderungen leichttut. „Ich bin schon gerne in meinem geschützten Bereich, in dem ich mich wohl und sicher fühle. Deshalb ist der Gang in ein anderes Land für mich ein großer Schritt, ein Abenteuer." Sie geht ihn nicht leichtfertig, sondern nach reiflicher Abwägung. Am Ende aber war der Reiz des Neuen so groß, dass sie sich dafür entschieden hat.

„Ich bin 27, im besten Handballalter. Als das Angebot aus Metz kam, habe ich gesagt: Jetzt oder nie. Entweder du gehst jetzt diesen Schritt oder du bleibst für immer hier; was durchaus auch eine Option gewesen wäre.“ So ist auch die Gefühlswelt von Alina Griseels an diesem Morgen eine gemischte Tüte. „Eine Menge Stolz ist dabei, speziell darauf, was wir beim Final Four der European League in Graz erreicht haben. Dazu mischt sich Wehmut, da ich realisiere, dass es jetzt nur noch wenige Tage sind, bis die Zeit hier erst einmal vorbei ist." Wohlgemerkt: erst einmal. Zwischen den Zeilen weht schon ein Hauch von „Nur wer geht, kann wiederkommen" mit.

Bis jetzt stehen neun Jahre bei und mit Borussia Dortmund, in denen Alina Grijseels vieles von dem gesehen hat, was ihren Sport ausmacht: Im Herbst 2014 ging es los, damals noch unter Trainerin Ildikó Barna. Grijseels stieg auf, mit der Mannschaft in die Bundesliga und in der Folge zum Gesicht von BVB-Handball, in gewisser Weise zum Marco Reus der Frauen; sie wurde Kapitänin und Nationalspielerin, Deutschlands beste Handballerin und Deutsche Meisterin - erst der Herzen, als der Titel unter Corona nur an die Männer, nicht aber an die Frauen vergeben wurde, und dann, 2021, mit der Schale in der Hand.

„Die Meisterschaft ist das sportliche Highlight meiner Zeit beim BVB, die steht natürlich ganz oben - wird aber auch im Nachgang durch Corona eingetrübt. Wir konnten den Meistertitel nicht so feiern wie zum Beispiel jetzt die Bronze-Medaille in Graz." Da haben sie allein eine halbe Stunde mit den 100 mitgereisten Fans getanzt. „Diese Ausgelassenheit fehlte leider bei der Meisterfeier. Das ist noch immer schade.“

Immerhin war die 2021er-Meistermannschaft gemessen an der individuellen Qualität der Spielerinnen die beste, in der sie bislang gespielt hat. „Richtig gut war allerdings auch die erste Erstliga-Mannschaft mit einer Clara Woltering im Tor, mit Anne Müller, Nadja Nadgornaja und Svenja Huber - oder die letzte mit Yara ten Holte, Dana Bleckmann, die sicher aufstrebend ist, und Lisa Antl. Sie sind alle sehr jung und haben noch viel vor sich."

Grijseels' persönliche Big Five neben der Meisterschaft verteilen sich, und das ist ein Ausdruck von Kontinuität und Stärke, ebenso auf ihre gesamte BVB-Zeit. Es sind: der Aufstieg 2015; das Final Four im DHB-Pokal in Leipzig direkt im Jahr darauf, als der BVB erst im Finale unterlegen war; das erste Mal in der Champions League; der Zuschauerrekord vor 11.112 Fans in der Westfalenhalle; und zuletzt Bronze im Final Four der European League in Graz als krönender Abschluss.

„Es gibt einige Momente, die prägend waren und in Erinnerung bleiben. Vor allem kommt dazu, dass ich mich hier neun Jahre lang entwickeln konnte; von einer Jugendspielerin, die hergekommen ist, um mal zu schauen, was geht, zur Nationalspielerin und Kapitänin von Borussia Dortmund und der Nationalmannschaft. All das verbinde ich mit dem Verein."

Die Stadt hat sich die in Wesel Geborene im Laufe der Jahre erschlossen - vielleicht hat sich die Stadt auch der in Wesel Geborenen im Laufe der Jahre erschlossen. Heute jedenfalls sagt sie: „Dortmund ist mein Zuhause." Grijseels verbindet viel mit der Stadt und gewissen Orten, vornehmlich im Süden und Grünen. Hier konnte sie abschalten. „Ich genieße es, auch mal Ruhe und Zeit für mich zu haben."

Sportlich hätte sie auf kaum einen Moment verzichten wollen. Die Saison 2018/19, als man sich schon weiter wähnte, dann aber das internationale Geschäft verpasste, hätte es nicht unbedingt gebraucht. Andererseits sind es oftmals Rückschritte, die einen voranbringen. „Am Ende prägt dich jede Phase und jede Saison. Und in dem Jahr haben wir viel gelernt. Wir haben Ehrgeiz und Gier gezogen für die folgende(n) Meisterschaft(en)."

Eine Dekade, die nun zu Ende geht. Alina Grijseels hätte auch bleiben können, natürlich hätte sie das. Aber die 27-Jährige hat sich dazu entschieden, aus der Komfortzone auszubrechen, aufzubrechen zu einer Herausforderung, die auch ein Abenteuer ist: neuer Verein, anderes Land, fremde Sprache, unbekannte Kultur, harte Konkurrenz.

„Es ist eine Reise ins Ungewisse, verbunden mit sehr viel Vorfreude und Spannung. Die erste Zeit wird vermutlich verfliegen, weil alles neu und aufregend ist." Angefangen bei der Sprache. Griseels hatte zwar Französisch in der Schule. „Ich war aber nicht sonderlich gut", wie sie selbst sagt. Jetzt lernt sie. Lehren wird sie aber erst das Leben in Frankreich.

Wohnen wird sie dort in einer vom Verein gestellten Bleibe; nur zwei Kilometer von der Arena entfernt, die, und das ist wichtig, diesen Namen auch verdient. Metz hat alles unter einem Dach; Trainingshalle, Kraftbereich, Umkleide, Spielfeld - kurzum: ein Handball-Zentrum.

„Das ist sehr angenehm - und das ist etwas, was in Dortmund nach wie vor fehlt." Die Infrastruktur hier genügt nicht internationalen Ansprüchen. „Wir haben noch immer keine Halle mit einer eigenen Kabine", hält Grijseels fest - und fügt hinzu: „Die europäischen Topklubs müssen sich keine Trainingszeiten von der Stadt genehmigen lassen. Die können trainieren, wenn sie trainieren wollen. Das gehört zur Professionalisierung dazu." Genauso wie schwierige Entscheidungen.

Alina Grijseels wollte nie 15 Vereine in ihrer Vita stehen haben. Wenn, dann wollte sie nur zu einem Klub wechseln, mit dem sie eine realistische Chance auf den Gewinn der Champions League hat. Metz ist ein solcher Topklub in Frankreich und in Europa, hat darüber hinaus eine ähnliche Tradition und ein vergleichbar familiäres Umfeld wie Borussia Dortmund.

„Sie spielen jedes Jahr Champions League - und vor allem jedes Jahr um das Final Four in der Champions League. Da habe ich Bock drauf. Ich freue mich auf das Gesamtpaket und möchte mich selbst auf das nächsthöhere Level hieven, wofür es hier womöglich noch ein paar Jahre braucht, um dort anzukommen."

Zugleich weist Alina Grijseels sehr bewusst darauf hin, dass Metz ein Kapitel sei, das für sie nicht 20 Jahre dauern werde, das sportlich begrenzt sein wird. Ihr Vertrag läuft zunächst zwei Jahre, womöglich verlängert sie ihn noch einmal.

Danach aber ist eine Rückkehr zu Schwarzgelb dann vielleicht in die neue Halle, die ursprünglich bis 2025 gebaut sein sollte und deren Fertigstellung nun für 2027 in Aussicht gestellt ist, nicht ausgeschlossen. „Wenn ich es mir malen könnte, wäre es sicher so, dass ich nach der Zeit in Metz zurückkomme, dem Verein mit meiner Auslandserfahrung strukturell weiterhelfe und meine Karriere hier in Dortmund beende. Das wäre mein Traumszenario."

Die Perspektiven sind rosig - für Alina Grijseels und für Borussia Dortmund.

Autor: Nils Hotze
Fotografen: Hendrik Deckers, Wolfgang Stummbillig

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag. 

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