Nach 5795 Tagen in Schwarzgelb endet eine grandiose Torwart-Laufbahn: An diesem Samstag, nach dem Spiel in Hoffenheim, ist Schluss für Roman Weidenfeller. 16 Jahre beim BVB – eine Karriere bei einem Klub.

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Heinrich Kwiatkowski, Hans Tilkowski, Horst Bertram, Eike Immel und Roman Weidenfeller. Borussia Dortmund hat eine große Torhüter-Tradition. Lediglich Bertram (heute 69 Jahre alt) hat es nicht zu internationalen Meriten gebracht, war somit als Einziger nicht in einem WM-Finale dabei wie die vier anderen Genannten – und ist dennoch ein „Held“, hielt dem Klub in den Zweitliga-Jahren die Treue, war ein Garant für den Wiederaufstieg 1976.

Kwiatkowski (gestorben 2008 im Alter von 82 Jahren) zählte zu den Protagonisten beim „Wunder von Bern“, hütete im Vorrundenspiel gegen Ungarn 1954 in der Schweiz das deutsche Tor. Er ist der Rekordspieler der Oberliga West mit 409 Einsätzen, Deutscher Meister 1956, 57 und 63.

Mit dem Namen Hans Tilkowski (82) bleibt auf ewig verbunden das berühmteste Tor überhaupt in der Fußballgeschichte, das „Wembley-Tor“, das England im Finale 1966 den Weltmeistertitel bescherte. Wenige Wochen zuvor hatten seine Paraden den Weg zum ersten Triumph einer deutschen Vereinsmannschaft im Europapokal geebnet. Und Pokalsieger war er auch mit der Borussia, anno 1965.

Eike Immel (57) debütierte mit 17 Jahren in der Bundesliga, hütete von 1978 bis 1986 das schwarzgelbe Gehäuse, nahm als Borusse an drei großen Turnieren teil, blieb zwar ohne Einsatz, gleichwohl hoch dekoriert: Europameister 1980, Vize-Weltmeister 1982 und 1986.

Kein Borusse erreichte so viele Endspiele wie Weidenfeller

Die Geschichte wird irgendwann eine Einordnung vornehmen, wer von diesen fünf großen Dortmunder Torhütern der Größte gewesen sein mag – Roman Weidenfeller jedenfalls gehört diesem engen Zirkel an. Deutscher Meister 2011 und 2012, Pokalsieger 2012 und 2017, Weltmeister 2014. Und: Kein Borusse erreichte so viele Endspiele wie der 37-Jährige: allein sieben mit dem BVB!

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Sieben Endspiele in 16 Jahren! Sein kicker-Notenschnitt von 2,04 in der Champions-League-Saison 2012/13 ist eine einsame Bestmarke. Allein viermal zog das Fachblatt eine 1,0 – darunter im Halbfinal-Rückspiel bei Real Madrid sowie im so unglücklich verlorenen Endspiel der Königsklasse gegen Bayern München.

2013 war das. Da war er auf dem Zenit seiner Karriere. Hatte sich gegen Widerstände durchsetzen müssen und selbst seine größten Kritiker mit fabelhaft konstanten Leistungen überzeugt. Jürgen Klinsmann und sein Nachfolger Joachim Löw hatten den laut kicker-Sportmagazin notenbesten Torhüter der Spielzeiten 2004/2005 sowie 2005/2006, den Kopf und Kapitän der Meistermannschaften 2011 und 2012, des Doublesiegers 2012, über Jahre hinweg ignoriert.

Timo Hildebrand, Robert Enke, René Adler, Tim Wiese oder Ron-Robert Zieler – sie alle durften mal, während Weidenfeller zuschauen musste, daheim auf der Couch vorm Fernseher. Erst am 19. November 2013 berief ihn Löw. Weidenfeller absolvierte im Alter von 33 Jahren und 105 Tagen, standesgemäß in Wembley bei einem 1:0-Auswärtssieg gegen England, und damit als ältester Torwart-Debütant seit Toni Turek (1950), sein erstes A-Länderspiel; im Sommer 2014 wurde er Fußball-Weltmeister: „Auch wenn ich nicht spielend auf dem Platz stand: Diese Wochen in Brasilien waren prägend für mich. Ich hätte mir nie träumen lassen, auch nur annähernd in die Nähe dieses Pokals zu kommen. Ein großer Glücksmoment, den wichtigsten Pokal im Weltfußball in den Händen zu halten!“

„Dortmund wird unsere Heimat bleiben“

Es war der verdiente Lohn, die Abrundung einer nicht immer geradlinig verlaufenen Karriere des konstantesten und besten Bundesliga-Torhüters der Jahre 2008 bis 2014. „Es hat mich sehr stolz gemacht. Ich habe dadurch große Wertschätzung erfahren“, sagte er nach seinem ersten A-Länderspiel. Im Vorfeld der WM unterstrich er dann nochmal mit fehlerfreien Leistungen, dass sich der Bundestrainer jederzeit auf ihn verlassen kann.

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Man könnte meinen, nicht die Geschichte habe es gut gemeint mit Weidenfeller, sondern dieser ehrgeizige Arbeiter habe die Geschichte von sich überzeugt mit dem steten Tropfen, der den Stein höhlt.

Am 16. November 2002 machte Roman Weidenfeller sein erstes Spiel für den BVB. Im Westfalenstadion gegen 1860 München (1:0). Heute, 5.650 Tage später, wird er zum letzten Mal als aktiver Profi den Signal Iduna Park betreten. In einer Woche ist sie dann beendet, die außergewöhnliche Karriere des Roman Weidenfeller, die am 4. November 2000 begann – mit einem 3:2-Erfolg seines Jugendvereins 1. FC Kaiserslautern über den FC Schalke 04 (nach 0:2-Rückstand). Im Sommer 2002 kam der talentierte Torwart zum BVB: „Nach der Verletzung von Jens Lehmann hatte ich frühzeitig die Möglichkeit, ins Tor zu kommen. Es war ein holpriger Start. Letztlich ist es als junger Spieler wichtig zu wissen, dass es nicht ohne Hürden geht.“

Ehrgeiz und Akribie zeichneten den gelernten Bürokaufmann bereits im Alter von 15 Jahren aus, als er seinen Heimatverein Sportfreunde Eisbachtal verließ und den Sprung zum 1. FC Kaiserslautern wagte. Dort unterschrieb er 1998 seinen ersten Profivertrag. Zuvor war er bei der A-Junioren-WM in Ägypten zum besten Torhüter gewählt worden. Nach sechs Bundesliga-Einsätzen wechselte er im Sommer 2002 zum BVB, wo er zunächst die Nummer zwei hinter Nationaltorwart Jens Lehmann war.

Die Leistungen des jungen Torhüters waren jedoch so nachhaltig, dass ihn der damalige Trainer Matthias Sammer nach Lehmanns Wechsel im Sommer 2003 zum FC Arsenal zur Nummer eins beim BVB erklärte. „Weidenfeller, der in seinen Anfangsjahren beim BVB nicht unumstritten war, gehört zu den anerkannten Führungskräften seines Klubs. Er gilt als Garant für Sicherheit und Stabilität“, schrieb schon damals der kicker über den Ballfänger, der das ABC des Fußballs „von meinem Vater zu Hause bei uns auf der Wiese beigebracht bekommen“ hat. „Dort“, so Weidenfeller, „habe ich früh gelernt, sicher den Ball zu fangen. Später haben wir dort etliche schweißtreibende Sonderschichten geschoben.“

In der Rangliste der BVB-Spieler mit den meisten Einsätzen ist er Zweiter

In der Rangliste der BVB-Spieler mit den meisten Einsätzen ist er Zweiter – hinter BVB-Ikone Michael Zorc. 2015, mit dem Trainerwechsel Klopp zu Tuchel und mit der Verpflichtung von Roman Bürki war er ins zweite Glied versetzt worden. Für einen 35-Jährigen eine zunächst einmal schwer verdauliche Entscheidung, zumal sie an Perspektiven geknüpft war, nicht an Fehlleistungen, die es eben nicht gegeben hatte. „Na klar war es nicht leicht, als zweiter Mann hintenanzustehen. In Mitch Langerak hatte ich zuvor selbst einen sensationellen Kollegen, der sich extrem loyal verhielt. Dadurch wusste ich, wie wichtig es ist, als Nummer eins jemanden im Hintergrund zu haben, der einen unterstützt und nicht die ganze Zeit schlechte Stimmung verbreitet. Meine Aufgabe ist es seitdem, Roman mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, ihn zu unterstützen und mich zugleich in die Mannschaft einzubringen, indem ich junge Spieler ein Stück weit an die Hand nehme und ihnen meine Erfahrungen mitgebe.“

Am vergangenen Samstag erhob sich zum letzten Mal der Vorhang in jenem Stadion, das für Roman Weidenfeller die Welt bedeutet. „Ich freue mich unglaublich auf diesen Tag, weil er mir die Möglichkeit gibt, mich von allen Fans zu verabschieden und noch einmal Danke zu sagen“, hatte er im Vorfeld gesagt. Der Abschied war grandios.

Nächsten Samstag, nach dem Spiel in Hoffenheim, ist dann endgültig Schluss. Es beginnt ein neues Kapitel.

Weidenfeller wird Markenbotschafter. Ergänzt das Team um Kalle Riedle, Jörg Heinrich und Patrick Owomoyela. Zunächst will er „reinschnuppern in den Verein“, ist ganz offen für das, was dann mal kommen mag: „Ich bin glücklich, dass mir der BVB die Möglichkeit gibt, nach der aktiven Karriere Teil des Vereins zu bleiben. Dann liegt es an jedem selbst, was er aus so einer Chance macht.“

Weidenfeller will schauen, schnuppern, sich weiterentwickeln – so wie er es als Spieler getan hat, zunächst „Abstand gewinnen vom Rasen, vom Team, die andere Seite des Vereins betrachten“.

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Dortmunder ist er geworden in diesen 16 Jahren. Sein Sohn wurde hier geboren. Ein Haus hat er gebaut mit seiner Frau Lisa. „Wir fühlen uns hier unheimlich wohl. Dortmund wird unsere Heimat bleiben“, versichert er, der 2002 gekommen war und mittlerweile so viel schwarzgelbe DNA in sich trägt wie wenige andere. Wenn er gemotzt hat, dann war es ihm „wichtig, die Jungs anzutreiben, damit Bestleistung herauskommt“. Zum Abschied möchte er sich „bei der Mannschaft bedanken für das Vertrauen und für die Unterstützung, dass sie all meine Emotionen mitgelebt hat, Mir ging es immer um die Sache: um die Leistung, den Erfolg, nicht darum, etwas besser zu wissen“.

Ach Roman, wenn sich jemand bedanken muss, dann wir bei Dir. Für 16 Jahre, in denen Du Deine Knochen hingehalten hast. All die schönen Momente zwischen 2002 und heute sind ganz eng mit Deinem Namen verknüpft.
Boris Rupert