Interview
Thomas Broich über die Ausrichtung des NLZ: „Bin positiv beeindruckt“
Du bist seit Mai beim BVB. Wie waren die Gespräche im Vorfeld und was sind deine Aufgaben hier im Nachwuchsleistungszentrum?
„Es war ein Prozess, der über ein paar Monate ging. Der BVB hatte Spielkonzeption als einen Bereich identifiziert, in dem es weitere Potenziale gibt, und Spielkonzeption ist mein Steckenpferd. Damit habe ich mich in den vergangenen Jahren, fast schon ein Jahrzehnt lang, viel beschäftigt. Lars Ricken hat genau da Möglichkeiten für den nächsten Entwicklungsschritt gesehen. Dann haben wir schnell Nägel mit Köpfen gemacht.“
Wohin soll sich der Jugendfußball von Borussia Dortmund entwickeln?
„Zunächst einmal bin ich sehr positiv beeindruckt von dem Talent, das wir hier im Verein haben, gerade auch von der Qualität der Trainer. Der Wunsch von Lars Ricken ist explizit, dass Jungs aus dem eigenen Grundlagenbereich, also aus der U9, U10 oder U11, den Weg bis in die Champions League schaffen. Dass sie es schaffen, bei Borussia Dortmund nicht nur Kaderspieler zu sein, sondern Stammspieler. Dafür müssen wir vom Ende her denken. Was wird eigentlich auf Champions-League-Niveau verlangt? Was bedeutet das in der Ableitung für unsere U19 und in der Folge für alle Mannschaften bis zur U9? Der Fokus in der Spielkonzeption liegt dabei einerseits auf der technischen Komponente, also welche Skills haben die Jungs am Ball, und andererseits auf dem Spielverständnis.“
Wie sollen die Jugendmannschaften spielen?
„Wir wollen viel Ballbesitz mit einer enormen technischen Qualität, aber auch mit Power und Zug zum Tor. Natürlich steht der BVB für sehr intensiven Fußball, das ist hier überall zu spüren. Das werden wir nach wie vor beibehalten oder vielleicht sogar auf das nächste Level heben. Es geht darum, gegen den Ball diese Gier zu haben. Denn um unseren Fußball spielen zu können, brauchen wir den Ball. Also müssen wir den Ball erstmal erobern.“
Wie wichtig sind Siege und Niederlagen für die Entwicklung von Spielern?
„Beides ist wichtig, aber in einer gewissen Gewichtung. Wenn wir am Ende genauso viele Spiele gewinnen, wie wir verlieren, wäre das nicht gut. Wir wollen deutlich mehr Spiele gewinnen. Die Spieler brauchen viele Erfolge, um an sich zu glauben, zu wachsen und eine Selbstwirksamkeit zu erfahren. Auf der anderen Seite sagen Psychologen aber auch, dass die Spieler weniger lernen, wenn sie zu oft unterfordert sind. In dem Fall lassen wir die besten Jungs eines Jahrgangs in älteren Klassen spielen, damit sie dort an Grenzen stoßen. Dann spielen wir mit einer sehr jungen U19 im Pokal ein Spitzenspiel gegen Leverkusen, dann holen wir aus der U17 viele Jungs in die U19.“
Was muss noch Teil der Ausbildung sein?
„Die Resilienz, die Fähigkeit mit Druck, sogar mit Angst umzugehen, Widerstände zu durchbrechen, immer wieder aufzustehen, Charakterstärke zu entwickeln. Wenn wir dann plötzlich mehr Spiele verlieren, als wir gewinnen, wäre das natürlich nicht gut. Dann müssten wir auch an dieser Schraube drehen. Da haben wir sehr, sehr gute Möglichkeiten.“
Wie individuell kann das sein?
„Es geht komplett um den einzelnen Spieler. Die Frage, die wir uns immer stellen müssen, ist: Was lernt der Junge gerade, was braucht er? Wenn einer körperlich oder fußballerisch nicht mehr an Grenzen stößt, geht er hoch in den nächsten Jahrgang. Er muss sich auf dem nächsten Level ausprobieren, sei es in der Trainingsumgebung oder sogar schon innerhalb eines Spiels. Anderen Spielern geben wir mehr Zeit. Solange das optimale Challenge-Level erreicht ist, ist alles gut. Es kann sogar sein, dass ein Spieler sogar noch etwas Zeit in seiner Entwicklung braucht. Wenn die Regularien es erlauben, kann es sinnvoll sein, ihn auch mal einen Jahrgang darunter spielen zu lassen, weil er da wieder eine ganz andere Selbstwirksamkeit erfährt.“
Die drei U19-Spieler Almugera Kabar, Cole Campbell und Kjell Wätjen haben am vergangenen Wochenende in Rostock ihr Debüt in der 3. Liga gegeben. Wie wichtig sind solche Spiele für die Jungs?
„Wir wollen sie so früh wie möglich auf ihr nächstes Level bringen. Ein Auswärtsspiel in Rostock, das ist Bundesliga-Atmosphäre. Und es gibt nichts Besseres, als in diesem Alter schon Herrenfußball zu spielen. Das ist auch von der ganzen Athletik her ein ganz anderes Spiel. Da muss man sich strecken, man entwickelt sich körperlich so sehr, man baut eine ganz andere Resilienz und Härte auf. Davon profitieren die Spieler immens.“
Wie sieht es konkret am kommenden Wochenende aus?
„Es ist für die Jungs wichtig, dass sie in der U23 ihren Hafen haben. Wir wollen sie selbst bei den Topspielen der U19 nicht mehr zurückversetzen. Sie sind jetzt bereit für den nächsten Schritt und sollen dort auch bleiben. Gleichzeitig gibt es uns die Möglichkeit, mit den jungen U19-Spielern auf diesem Level Topspiele zu bestreiten. Ich glaube, dass wir stark genug sind, auch dieser Herausforderung gewachsen zu sein. Deswegen ist es unsere gemeinsame Entscheidung, im Topspiel der U19 am Samstag mit einer jungen Mannschaft zu spielen.“
Wie sieht es danach aus?
„Es gäbe keine stärkere Botschaft, als wenn das mit diesen Jungs sofort klappen würde. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass man in solche Rollen erst hineinwachsen muss, dass man ein bisschen Zeit braucht. Wir werden wahrscheinlich mit dem einen oder anderen Rückschlag umgehen müssen. Es wäre kein Weltuntergang, wenn wir an einem Wochenende noch an Grenzen stoßen. Trotzdem ist das der Weg, den wir dauerhaft gehen wollen. Irgendwann überwinden wir diese Grenzen. Ein großes Kompliment an alle Trainer, die mitgehen: Für Jan Zimmermann von der U23 ist es nicht einfach, aber er ist voll dabei. U19-Trainer Mike Tullberg liebt es, dass er mit so einer jungen Truppe Leverkusen herausfordern kann. Und U17-Coach Karsten Gorges, der fast mit einer U16 agiert, will auch an jedem Spieltag gewinnen.“